Signal: Roman (German Edition)
ausgehe, dass du jetzt nichts mehr im Magen hast, dürfte es dir bald wieder besser gehen.« Er grinste. »Das ist allerdings nur meine laienhafte ärztliche Einschätzung.«
Sie sah an ihrem Körper herunter und drückte die Fingerspitzen beider Hände leicht in der Nähe ihres Bauchnabels auf ihren Torso. Daraufhin verzog sie das Gesicht, zeigte ansonsten jedoch keine körperliche Reaktion. »Es fühlt sich noch nichtrichtig an. Ich habe wirklich geglaubt, ich würde sterben.« Als ihr auf einmal klar wurde, dass er nicht unbeteiligt an ihrer Rettung gewesen war, sah sie ihn mit finsterem Blick an und setzte sich auf. »Wie bin ich aus dem Wasser gekommen?«
»Ich bin dir gefolgt. Bin dir nachgeschwommen und hab dich rausgeholt. Ich hab dir das Leben gerettet. Entschuldige, dass ich hier keine falsche Bescheidenheit zeige. Wenn ich mein Leben nicht riskiert hätte, dann hättest du deins verloren.«
Sie dachte einige Sekunden lang darüber nach. »Warum hast du das getan, Whispr?«
Er wandte den Blick ab und sah in die Schlucht hinaus. Noch vor wenigen Augenblicken war sie bis zum Rand mit dem tosenden Wasser angefüllt gewesen. Jetzt plätscherte das Wasser nur noch dahin, wie ein in die Jahre gekommener Profiathlet, der mit seinen ihm unterlegenen Amateurgegnern Katz und Maus spielte.
»Keine Ahnung. Lag vielleicht an meiner angeborenen Dummheit.« Als sie darauf etwas erwidern wollte, sprach er schnell weiter. »Wo wir gerade bei angeborener Dummheit sind: Warum bist du nicht in meine Richtung geschwommen, als du gesehen hast, dass ich dir folge, verdammt noch mal? Ich weiß, dass du mich gesehen hast. Wir haben uns in die Augen gesehen. Das hätte die ganze Sache sehr viel einfacher gemacht, und du wärst nicht so nah am Rand untergegangen.« Seine Wut half ihm dabei, die Gedanken an die beinahe erfolgte Mund-zu-Mund-Beatmung in den Hintergrund zu schieben.
Sie wandte den Blick ab. »Whispr … Ich kann nicht schwimmen.«
Mit dieser Antwort hatte er nun ganz und gar nicht gerechnet. »Was zum Geier meinst du damit, dass du nicht schwimmen kannst? Jeder Einwohner von Savannah kann schwimmen. Man muss es einfach lernen, weil da zu viel unter Wasser steht. Welche Idioten haben vergessen, dir das Schwimmen beizubringen?«
Man merkte ihrer Stimme ihre Anspannung an. »Meine idiotischen Eltern, die mich in Topeka aufgezogen und vergessen haben, es mir beizubringen. In Topeka muss man nicht unbedingt schwimmen können.«
»Vermutlich nicht«, stimmte er ihr zu. »Äh, wo liegt Topeka?«
»Auf dem Trockenen«, erklärte sie ihm. »Es liegt höher, auf sicherem Gebiet. Ich habe viel gelernt, aber Schwimmen gehörte nicht dazu. Ich hatte immer zu viele andere Dinge im Kopf. Ich bin auch nicht oft mit den anderen Kindern in Kontakt gekommen.« Als sie seinen Gesichtsausdruck bemerkte, fügte sie hinzu: »Ich weiß, dass das keinen Sinn ergibt. Es gibt mehrere Übungsschwimmbecken in meinem Turm, mit Salz- und mit Frischwasser, doch ich habe höchstens mal darin geplanscht. Ich liebe den Strand, und ich liebe sogar das Wasser. Ich kann nur nicht schwimmen.« Sie schluckte schwer und sprach mit belegter Stimme weiter. »Wenn du mir nicht geholfen hättest, dann wäre ich ertrunken, Whispr.«
Bevor er überhaupt realisierte, was er da sagte, hatte er die Worte schon deutlich gröber als gedacht ausgesprochen. »Erzähl mir was, das ich nicht weiß, Doc.« Er war erschrocken und verwirrt, als er sah, was danach geschah.
Dr. Ingrid Seastrom begann zu weinen.
Trotz all der Dinge, die sie durchgemacht hatten, trotz all dem, was sie, seitdem sie Savannah verlassen hatten, erlebt hatten, hatte sie nie die Fassung verloren. Sie hatte nicht geweint,als Napun Molé sie in den Everglades mit der Waffe bedroht hatte, auch nicht, als sie auf der Flucht in Sanbona mit dem Wagen in den Fluss gestürzt waren. Sie hatte nicht geweint, als Josini Jay-Joh Umfolozi ihr im Führerhaus des Trucks seines Neffen mit einer Waffe vor dem Gesicht herumgewedelt und gedroht hatte, ihr das Hirn wegzupusten.
Whispr wusste, was er zu tun hatte, wenn er auf der Straße angegriffen wurde. Er wusste, wie man zornige Polizisten mit schmeichelhaften Worten beruhigen und muskelbepackte Lods mit geschickten Ausweichschritten überlisten konnte. Er kannte die besten Methoden, um gutherzige Touristen um »Spenden« zu bitten und ahnungslose Geschäftsleute auszunehmen. Aber er hatte nicht die leiseste Ahnung, was er jetzt tun sollte. Also verließ
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