Signum - Die verratenen Adler
sie.
»Chariomer war sein Name. Er war etwas älter als ich, aber nicht viel.«
Fastrada war sich nicht sicher, ob sie den Namen schon einmal gehört hatte. »Was hat dieser Chariomer in Rom gemacht?«, fragte sie.
»Sein Vater hat ihn als Geisel zu uns geschickt. Er hat dort viel gelernt.«
Fastrada spürte, dass die letzte Bemerkung sie störte. Sie klang überheblich, obwohl sie freundlich gemeint war. »Von euch kann man ja auch furchtbar viel lernen«, gab sie bissig zurück.
Er überhörte den scharfen Unterton. »Wie man an dir sehen kann.«
»So schwierig ist eure Sprache nun auch wieder nicht.«
»Ist eure denn schwieriger?«
»Wie soll ich das beurteilen? Versuch doch sie zu lernen und sag mir hinterher, ob sie schwierig ist.«
»Bringst du mir was bei?«, fragte er schelmisch und sah ihr in die Augen.
Fastrada konnte sich nicht mehr verbieten ihn anzulächeln. Sie nahm eine Erbse aus einem der Körbe und hielt sie hoch. »Erbse«, sagte sie in ihrer Sprache. Als er das Wort nachsprach, kniff sie kritisch die Augen zusammen und sagte es noch einmal. Er wiederholte die Vokabel mehrmals, bis sie mit der Aussprache zufrieden war.»Nicht schlecht für den Anfang.« Sie griff nach einem Apfel. »Apfel.«
Er sprach ihr erneut nach, dann legte er nachdenklich die Stirn in Falten. »Merkwürdig«, murmelte er. Bei uns gibt es eine Stadt, die heiÃt Abella. Hört sich fast genauso an wie euer Wort. Die Stadt ist bekannt, weil sie dort die besten Ãpfel von ganz Italien züchten.«
»Warte, bis du unsere probiert hast.«
»Also kriege ich einen?«
Sie tat, als ob sie zögerte. »Mühe hast du dir ja gegeben.« Dann reichte sie ihm den Apfel. Er fummelte an einem kleinen Lederbeutel, der an seinem Gürtel hing. »Willst du mich beleidigen?« Ihre Bemerkung war im Spaà gemeint gewesen, hatte aber ein wenig zu schroff geklungen.
Er hielt inne. »Bei uns bezahlt man üblicherweise, was man kauft.« Er schaute sie unsicher an, doch als er sah, dass sie wieder lächelte, lockerten sich auch seine Mundwinkel etwas. »Wir haben da ein Sprichwort â¦Â«
»Du hast es mit den Sprichwörtern, oder?«
Er verdrehte die Augen, als würde er von einem unsichtbaren Lehrmeister traktiert. »In der Schule stopfen sie uns damit voll«, erwiderte er fast entschuldigend.
»Ihr Römer hört euch gerne selber reden, was?«
»Die Lehrer jedenfalls«, sagte er. »Sie erschlagen einen mit ihren Weisheiten.«
Fastrada musste plötzlich an ein paar Verse denken, die Irmin ihr beigebracht hatte. Sie stammten aus einemBuch, das in Rom angeblich jeder kannte. »Nicht Schwert, nicht Giftgebräu wird dermaleinst dich töten â¦Â«, zitierte sie aus der Erinnerung.
Der Römer starrte sie mit offenem Mund an. Dann stieg er auf den Text ein und warf ihr den folgenden Vers zurück: »Kein schleichend Zipperlein samt Hals- und Lungennöten â¦Â«
Fastrada kicherte und erwiderte: »Ein Schwätzer bringt dich um, fällst du ihm einst zur Beute â¦Â«
»Drum, wirst du groÃ, sei klug: flieh redewütige Leute!«
Sie prusteten beide gleichzeitig los.
»Es ist nicht zu fassen!«, stieà er lachend hervor. »Du kennst Flaccus!«
In diesem Moment rief jemand vom Lagertor aus einen Namen. Der junge Römer blickte verwundert über die Schulter. Zwischen den Wachsoldaten war eine Gestalt aufgetaucht. An der Statur erkannte Fastrada einen jungen Mann.
Er winkte, und der Römer winkte zurück, bevor er sich wieder zu ihr drehte. »Das ist mein Freund Lucius«, sagte er, als sei er ihr eine Erklärung schuldig. Dann wandte er sich etwas abrupt zum Gehen. »Wir sehen uns morgen!«, rief er noch, bevor er den Hügel hinauflief auf den anderen zu, der jetzt stehen geblieben war. Fast kam es Fastrada vor, als wollte er ihn abfangen. Als die beiden zusammentrafen, wechselten sie ein paar Worte, anschlieÃend verschwanden sie im Lager.
Fastrada blieb allein bei ihrem Karren zurück. Merkwürdige Begegnung, dachte sie. Dieser Junge hatte eine Art an sich, die nichts mit der flegelhaften Arroganz der Römer zu tun hatte, die sie bis dahin getroffen hatte. Und irgendwie hoffte sie, dass er noch einmal wiederkommen würde.
Während sie weiter über das Zusammentreffen nachdachte, schwang in der Ferne das Tor vom
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