Silber
Nacht Leute anruft und nicht Bela Lugosi oder ein besonders augenfälliger Zimmerboy ist, dann ist mit dieser Welt etwas eindeutig nicht in Ordnung. Wie sollte eine alte Fregatte wie ich dir schon helfen können, in Anbetracht der Tatsache, dass ich bereits mit einem Bein im Grab stehe? Ich weiß nicht, ob ich die Aufregung noch verkraften kann, die diese konspirativen Treffen mit sich bringen; so Leid mir das auch tut.“
„Grace Weller“, sagte der Alte noch einmal.
„Du wirst langsam lästig. Ich kann weder bestätigen noch dementieren, dass die reizende Grace Weller auf der Seite der Gerechten kämpft.“
„Das heißt also, ja“, sagte Sir Charles. Die Unterhaltungen mit Quentin Carruthers liefen immer auf Wortspiele und Wortklaubereien hinaus. Andererseits war die Kontrolle auch niemand, von dem man eine klare Antwort erwartet hätte.
„Selbst wenn, verstehst du doch sicherlich, dass ich dir nicht einfach erzählen könnte, was ihr Aufgabenbereich im Dienste Ihrer Majestät ist, oder?“
„Ich fürchte, sie ist nicht mehr im Dienst“, sagte Sir Charles. Er zog eine Fotokopie von Grace Wellers letztem Brief aus der Innentasche und übergab sie Quentin Carruthers.
„Das ist natürlich eine echte Tragödie“, sagte der ehemalige Meisterspion, der von dieser Nachricht ehrlich schockiert zu sein schien.
„In was für eine Geschichte war sie da verwickelt, Quentin?“ „Damit meinst du bestimmt: Was könnte sie in Deutschland getan gaben, für das man sie ermorden würde?“
„Was uns auch Rose heißt, es würde lieblich duften“, sagte Sir Charles sanft und nickte mit dem Kopf.
„Ich weiß wirklich nicht über jede Kleinigkeit…“
„Sei nicht so zurückhaltend, Quentin. Ihre Einsatzberichte reichen bis ins Jahr 2004 zurück“, log der Alte, einer spontanen Eingebung folgend. „Und demnach bist du sogar noch offiziell die Kontrolle gewesen, als ihr sie auf ihre Auslandsmission geschickt habt. Versuch bitte nicht, mir weiszumachen, du wüsstest nicht, mit welchem Auftrag du sie selbst betraut hast. Das glaube ich dir keine Sekunde lang.“
„Dein Misstrauen trifft mich sehr, alter Freund. Wenn du mich in die Rippen stößt, will ich dann nicht mehr davon?“ Quentin Carruthers lachte über seinen eigenen, nicht besonders geglückten Scherz. „Ja, ja, schon gut. Grace war mein Stolz und meine Freude. Ist es das, was du hören wolltest?“
„Was war ihre Mission in Berlin?“
Quentin Carruthers schnaubte, sein ganzer Körper zitterte dabei. Der Alte begriff erst einen Augenblick später, dass Quentin Carruthers ein Schluchzen unterdrückte. Er verzog gequält das Gesicht. „Dort war sie also? Ich habe schon lange nichts mehr von ihr gehört.“
„Was hat sie dort gemacht?“, drängte Sir Charles weiter. Er wollte auf keinen Fall lockerlassen.
„Das war eine schreckliche Geschichte, Charles. Furchtbar. Kennst du eine Versicherungsgesellschaft namens Humanity Capital?“
„Ich habe den Namen schon einmal irgendwo gehört“, sagte der Alte, ohne weiter darauf einzugehen.
„Es ist eine Versicherungsgesellschaft für Soldaten in Kriegsgebieten –, ein ganz sauberes und ehrbares Geschäft. Sie verdienen an unseren Jungs, wenn die sich nicht abschießen lassen, und zahlen die Prämie aus, wenn es doch passiert. Das macht sie natürlich zu reinen Parasiten, aber auf welche Versicherung trifft das nicht zu? Nun ja, wir hatten die Vermutung, dass Humanity Capital nur eine Fassade für nicht ganz so saubere Geschäfte ist, nämlich die rücksichtslose Ausbeutung von Entwicklungsländern. Dafür begibt man sich in das gewünschte Land, macht sich lieb Kind bei der Allgemeinbevölkerung, und verdient mit kleinen Gefallen hier und da ein bisschen Bakschisch. So fängt es meistens an. Dann kommt es plötzlich zu bewaffneten Auseinandersetzungen, doch die medizinischen Hilfsgüter und Lebensmittel werden an Orte geschickt, für die sie eigentlich nicht bestimmt sind. Kurz darauf folgen Waffen und Munition, anschließend Boden-Luft-Raketen. Und damit ist man wieder bei Humanity Capital angelangt. Sie verdienen dann am meisten Geld, wenn bestimmte Kriege auch tatsächlich stattfinden. Man muss nur die richtigen Männer bestechen, und schon bekommt man seinen Willen. Du weißt ja, wie das so ist. Angebot und Nachfrage.“
„Sie haben Söldnertruppen gegen unsere eigenen Jungs ins Feld geschickt?“, fragte Sir Charles, der den mäandernden Gedanken des alten Meisterspions zu ihrem logischen
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