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Silber

Titel: Silber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Savile
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vergleichen, die neben der schematischen Darstellung der ICE-, Intercity- und Regionalbahnrouten hing. Er sah sich beide Versionen einige Minuten lang genau an und versuchte, sie sich einzuprägen. „Kann ich Ihnen helfen?“, fragte einer der uniformierten Polizisten, der ihn auf den Stadtplan starren sah.
    „Nein, vielen Dank“, antwortete Konstantin, ohne von der Karte aufzusehen. Die Strecke der Prozession war etwa fünf Kilometer lang, auf drei davon verlief sie entlang des Rheins, bevor es in die Altstadt weiterging. Unterwegs gab es viele Sehenswürdigkeiten, darunter natürlich die mächtige Festung Ehrenbreitstein auf dem anderen Flussufer. Danach folgten eine Aluminiumfabrik und eine große Industrieanlage, in der Autobremsen hergestellt wurden. Beide boten viele abgeschiedene Positionen, aber ohne die Gebäude gesehen zu haben, konnte er nicht beurteilen, ob man von dort ein gutes Schussfeld hatte. Bürogebäude, Hotels und Pensionen – am meisten interessierten ihn die Zimmer mit Aussicht, die dafür mehrere Stockwerke über der Straße liegen mussten. Unter diesen Kriterien schieden bestimmt etliche Gebäude in der Altstadt aus, deshalb würde der Schütze wahrscheinlich lieber in die Neustadt gehen, wo es breitere Straßen und höhere Häuser gab. Aber auch diese Vermutung konnte er erst bestätigen, wenn er die Prozessionsroute einmal abgelaufen hatte.
    Hinter dem Haupteingang des Bahnhofs wellte sich ein merkwürdiges Glasdach bis zur Mitte des Vorplatzes hinaus. Die Straße führte an einem gepflasterten Bereich vorbei. Rechts vor dem Eingang wurde gerade ein knallgelber Lieferwagen von DHL mit den Sendungen des Tages beladen. Links davor befanden sich die Kurzparkplätze, die fast ausnahmslos mit nahezu identischen „Minivans“ und Familienkutschen belegt waren. An jeder einzelnen Stahlstrebe des Glasdachs waren Fahrräder festgekettet. Der Himmel wirkte selbst durch die getönten Scheiben so kristallklar wie ein Bergbach. Auf der anderen Straßenseite war eine dieser Café-Ketten-Filialen, die den Genuss einer Tasse guten Kaffees zu einem Supermarktbesuch degradiert hatten. An der kurzen Seite des Platzes sah er ein Gebäude, das fast vollständig aus Glas bestand. Vielleicht war es eine Designerschule oder ein extravagantes Bürogebäude, er konnte es nicht sagen. So oder so stand es in scharfem Kontrast zu den anderen Gebäuden, von denen es umgeben war.
    Er besah sich die Wegschilder, die in alle möglichen Richtungen zeigten. Dann folgte er der Fußgängerstrecke zum Rheinufer. Der Weg gabelte sich in eine Spur für Radfahrer und eine für Fußgänger. Der Weg vor ihm war leer. Konstantin schlenderte gemächlich vor sich hin, er betrachtete alles um sich herum, ganz wie ein Tourist, der in die mittelalterliche Atmosphäre der Stadt eintauchen will. Ein Stück weiter die Straße hinunter fand er ein kleines Straßencafé. Alle acht Tische waren frei, nur auf einem davon stand eine benutzte Espressotasse, unter der eine Serviette im Wind flatterte. Vor dem Laden nebenan standen Kübel mit Tulpen, Sonnenblumen und samten leuchtenden Rosen, noch mehr bunte Blumen waren um den Türrahmen herum arrangiert worden. Auf einem weißen, handgeschriebenen Schild in der Ladentür stand zwar „Geschlossen“, doch im Schaufenster war eine attraktive Frau mittleren Alters zu sehen, die sich gerade um die Auslage kümmerte. Als sie ihn sah, lächelte sie ihn an. Konstantin lächelte zurück. Die Fenster im ersten Stock waren alle dunkel, und es gab keine weiteren Fenster im Dach. Er versuchte, in Gedanken möglichst genau das Schussfeld von dort oben zu rekonstruieren, und kam zu keinem besonders guten Ergebnis. Er hätte diese Position nicht eingenommen, wenn er der Schütze gewesen wäre. Das genügte ihm, um das Haus von der Liste zu streichen.
    An der Uferpromenade kaufte er an einem kleinen Kiosk ein Päckchen mit filterlosen Zigaretten. Der Verkäufer nahm das Geld entgegen, und sie tauschten ein paar Höflichkeiten aus. Konstantin erwähnte die vielen Absperrgitter entlang des Flusses, worauf der Mann schallend zu lachen begann. „Wo sind Sie die letzten Wochen denn gewesen, mein Freund? Der Papst kommt in die Stadt, um uns von all unseren Sünden zu erlösen“, sagte er, immer noch grinsend. „In ein paar Stunden wird es hier vor Leuten nur so wimmeln. Ein Riesenrummel wird das.“ Konstantin war Nichtraucher, deshalb hatte er kein Feuer für die Zigarette, die er sich in den Mundwinkel

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