Silber
und die Zeichen richtig zu deuten. Doch hier ging es nicht nur um Körpersprache, es ging um Sekundenbruchteile, die den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachten.
Hundert Meter nach dem schwarzen BMW kam der erste Fußtrupp: Es waren Schweizergardisten, die in ihren zeremoniellen Uniformen wie eine Blaskapelle aufmarschierten. In Konstantins geschulten Augen wirkten sie nicht halb so professionell, aufmerksam oder imposant wie die Männer vom BKA. Er wusste, dass die Gardisten allesamt eine Soldatenausbildung hinter sich hatten, doch ihr Auftreten hatte auch etwas Comicartiges, das einen dazu verleiten konnte, sie zu unterschätzen – was sie zur perfekten Tarnung für seinen Assassinen machte.
Dann brachen die Menschen um ihn herum plötzlich in Jubelgeschrei und Beifall aus, als das Papamobil um die Kurve fuhr. Konstantin spürte, wie sein Herz sank. Er hatte erst die halbe Strecke zur Bühne geschafft. Er spürte den Druck der Massen in seinem Rücken. Er versuchte, sich davon treiben zu lassen und hoffte, dass er ihn ein paar Reihen weiter nach vorn bringen würde, wie beim Crowdsurfing auf einem Rockkonzert. Er ließ die eine Schulter fallen und drehte sich seitlich zur Bühne. Er hatte nicht vor, die Leute grob aus dem Weg zu stoßen und eine Szene zu machen, aber er würde es tun, wenn es sein musste.
Der umgebaute Mercedes bog auf den Platz ein.
Konstantin konnte den weißhaarigen alten Mann sehen, der von seinem Sitz aus den Menschen zuwinkte, als er an ihnen vorbeifuhr. Er sah selig und gelöst aus. Selbst durch das Glas strahlte er eine tiefe Ruhe aus, die auf die Menschen übersprang. Dass er schon so nahe war, machte Konstantins Verzweiflung allerdings noch größer. Er musste an den Bühnenrand gelangen. Er musste dort sein.
Das Fahrzeug fuhr um den Rand der Menge herum, es hatte die Bühne schon halb erreicht.
Konstantin ließ jeden Anschein von Ruhe fahren und kämpfte sich energisch durch die Menschenmenge vor ihm. Er war sich klar darüber, wie dieses Verhalten für die Beamten des BKAs aussehen musste. Sie würden einen Mann sehen, der mit allen Mitteln versuchte, sich einen Weg zur Bühne zu bahnen. Sie würden seinen entschlossenen Blick sehen, den Schweiß auf seiner Stirn und die hektischen Bewegungen – sie würden glauben, dass er ihr Mann war. Seine Lippen bewegten sich zwar nicht, aber er wusste nicht, ob diese Männer gut genug ausgebildet waren, um daran erkennen zu können, dass er verzweifelt versuchte, das Attentat zu verhindern, und nicht, es zu verüben.
Fünfzehn oder sechzehn Reihen lagen noch zwischen ihm und der Bühne.
„Entschuldigung, Verzeihung, Entschuldigung, danke“, sagte er, während er sich an einer jungen Familie vorbeischob, die zum Gottesdienst gekommen war –, als ihm plötzlich auffiel, dass er die Lippen doch bewegte. Sie bewegten sich schon die ganze Zeit, seine Entschuldigungen waren fast zu einem Mantra geworden, das aus der Ferne bestimmt wie das letzte Gebet eines Fanatikers aussehen würde.
Er stieß dem Mann vor sich die Hände auf den Rücken und zwängte sich seitlich zwischen ihm und der Frau hindurch. Der Mann stolperte vorwärts, breitete die Arme aus, um sein Gleichgewicht wiederzufinden, und stieß dabei den Mann vor ihm an. Der Nachhall des Stoßes setzte sich durch die Menge fort. Konstantin versuchte, sich an dem Mann vorbeizuschieben, als der sich zu ihm herumdrehte. Er rief aufgebracht etwas auf Deutsch, doch Konstantin beachtete ihn nicht. Er hatte nur Augen für die Bühne. Er wusste, dass er angestarrt wurde, doch es war ihm völlig gleichgültig. Er hatte vielleicht noch zwei Minuten, bis der Papst auf die Bühne stieg, und noch weitere sechs, bis sich der Schuss aus dem Gewehr lösen und auf dem kleinen Platz die Hölle losbrechen würde.
Er riskierte einen Blick über die Schulter, in die Richtung von Haus Nummer 13 mit dem Scharfschützengewehr, dann blickte er stur geradeaus.
Es gab drei Fernsehkameras, eine war auf einen Kranarm montiert, die beiden anderen standen an der linken Seite des Platzes und überblickten die Menge. Eine der seitlichen Kameras schien direkt auf ihn gerichtet zu sein. Konstantin wurde klar, dass im Übertragungswagen gerade ein paar Leute nervös auf ihre Bildschirme starrten, ihn darauf sahen und das Schlimmste befürchteten.
Das Papamobil hielt neben dem roten Teppich, der über die Treppe auf die Bühne hinaufführte. Zwei muskulöse Beamte des BKA in gut geschnittenen Anzügen gingen
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