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Silber

Titel: Silber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Savile
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Gehstock stand an der Fensterseite des Bettes.
    Sein alter Dienstrevolver, ein Webley Break-Top aus dem Jahre 1963 – einer der letzten, die für die britischen Streitkräfte bestellt worden waren – lag eingeschlossen in einer Schublade des Schreibtisches auf der anderen Seite des Zimmers. Es war kein besonders stabiles Schloss, doch er war ein alter Mann. Und es war zweifelhaft, ob er aus dem Rollstuhl heraus genug Kraft aufbringen konnte, um die Schublade herauszureißen, indem er einfach den Messingriegel des Schlosses oder das Holz um die Beschläge zerbrach. In der Schublade befand sich auch eine Schachtel mit Munition. Er hatte sie aufgehoben, als die Pistole ‘63 außer Dienst gestellt worden war. Es gab einen alten Witz dazu: Zwei Patronen pro Mann und Jahr. Als die Waffe ausgemustert wurde, war die Munition dafür schon sehr rar gewesen. Der Double-Action-Revolver konnte zwanzig bis dreißig Schuss pro Minute abgeben. Das war mehr, als die Trommel fassen konnte, und mehr, als der Alte hatte. In der Munitionsschachtel waren genau zwölf Patronen.
    An der Wand neben dem Gehstock befand sich der Notrufknopf, auf dem Schreibtisch stand das Telefon. Für eines von beidem musste er sich entscheiden.
    Er hob die Hände vor das Gesicht. Sie zitterten, und das nicht nur von der Anstrengung, als er sich in den Rollstuhl gehievt hatte. Selbst wenn er die Schublade aufbrechen könnte, er hätte beim Laden des Revolvers die Kugeln wahrscheinlich nur auf dem Boden verteilt. Andererseits würde er nur einen Schuss brauchen.
    Die Entscheidung fiel ihm nicht schwer.
    Er lenkte den Rollstuhl zum Schreibtisch. Er stieß erst gegen das Bett und dann so heftig gegen die geschnitzten Holzbeine des Tisches, dass alles darauf zu klappern begann. Er zog an der Schublade, aber sie ließ sich nicht bewegen. Wieder zerrte er daran, diesmal verzweifelter. Der ganze Tisch wackelte von der Kraft seiner Bewegung, doch die Schublade bewegte sich keinen Millimeter. Er konnte weder einen besseren Hebelpunkt finden, noch konnte er mehr Druck auf eine der Schwachstellen ausüben.
    Er hörte Schritte auf dem Gang draußen.
    Der Alte riss so stark an der Schublade, dass der Tisch fast auf ihn gekippt wäre. Das Schloss hielt. Er ließ den Griff los, stieß einen Fluch aus und gab sich dann geschlagen. Er legte die Hände an die Räder und versuchte, den Rollstuhl zum Fenster zu bewegen.
    Hinter ihm öffnete sich leise die Tür.
    Er drehte sich nicht um. Das war nicht notwendig. Er konnte im Spiegel über dem Schreibtisch sehen, wie der Eindringling das Zimmer betrat. Er trug eine schwarze Sturmhaube aus Wolle, mit einem ausgefransten Riss, wo der Mund ausgeschnitten worden war, und zwei schmalen Schlitzen für die Augen. Schwarze Locken kräuselten sich unter dem Rand der Kopfbedeckung hervor. Obwohl die Gestalt von Kopf bis Fuß in geschlechtsneutrales Schwarz gekleidet war, verrieten ihre wohlgeformten Rundungen sofort, dass es sich um eine Frau handelte.
    Ihr linker Arm sah unförmig aus und war bedeutend dicker als der rechte. Der Alte erkannte, dass er mit einem leichten Gips geschient war. Frosts erster Bericht aus dem Haus in Jesmond fiel ihm ein. Das musste die Frau sein, die er in der Wohnung von Sebastian Fisher überrascht hatte. Er hatte ihr bei dem anschließenden Kampf den Arm gebrochen. Und hier war sie schon wieder, bei ihrem nächsten Bruch. Der Alte griff nach dem Telefon. Er wusste, dass er nicht zum Telefonieren kommen würde. Aber er konnte die Leitung öffnen, wenn er das Mobilteil aus der Ladestation nahm, und die anderen Apparate im Haus würden das mit einem Blinklicht signalisieren. Er konnte nur hoffen, dass irgendjemand das auch bemerken würde. Aber wer sollte es sehen? Max? Oder Lethe? Er hatte zwei Schüsse gehört, und sie hatte wahrscheinlich nicht auf den Schirmständer geschossen. Max war dem Ursprung der Geräusche bestimmt nachgegangen. Max. Doch der Alte konnte sich gerade keine Trauergefühle leisten. Vielleicht war Max tot, vielleicht lebte er aber auch noch – so oder so machte es wenig Sinn, sich jetzt den Kopf darüber zu zerbrechen. Momentan musste er sich um seinen eigenen armen Kadaver Sorgen machen.
    „Das würde ich an Ihrer Stelle nicht tun“, sagte die Frau. Sie hatte einen Akzent. Er war nicht sehr stark ausgeprägt, aber wahrnehmbar – obwohl sie offensichtlich ihr Bestes tat, um ihn zu verbergen. Naher Osten, Israel, vielleicht auch Libanon. Wenn man an die Spur aus Brotkrumen dachte,

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