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Silber

Titel: Silber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Savile
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Angelegenheit kümmern – und zwar mit deutscher Gründlichkeit. In den Augen der Welt war Konstantin bereits schuldig, immerhin war seine Tat klar und deutlich zu sehen gewesen. Lethe musste Beweise dafür finden, dass sie es
nicht
gesehen hatten, dass ihre Gehirne die Punkte zwar miteinander verbunden und die Lücken ausgefüllt, die Zusammenhänge aber völlig falsch verstanden hatten. Die verdammten Kameras waren ihm dabei keine große Hilfe.
    Ebenso wenig hilfreich war die Tatsache, dass eine Hintergrundüberprüfung von Konstantin Khavin sofort ergeben würde, dass er ein Überläufer aus der ehemaligen Sowjetunion war. Man würde eins und eins zusammenzählen und zu der einzig logischen Schlussfolgerung gelangen: Man konnte Konstantin Khavin vielleicht aus Russland herausholen, nicht aber Mütterchen Russland und ihr schwarzes Herz aus Konstantin Khavin. Er musste ein Spion sein – ein Schläfer – der immer noch mit Leib und Seele Moskau diente. Denn egal, wie aufgeklärt sich die Menschen im Westen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs auch gaben, es genügte schon der geringste Anlass, um die alten Ängste und das tiefsitzende Misstrauen wieder aufleben zu lassen. Es fiel den Leuten viel leichter zu glauben, dass die alten Feinde immer noch Feinde waren, als dass sie die Schuld bei Menschen wie Miles Devere gesucht hätten, bei einem Großkapitalisten, der einzig und allein von hässlicher Habgier getrieben wurde.
    Sobald die Schüsse zu hören waren, schwenkte das Bild der Krankamera – die bis dahin den perfekten Überblick auf das Geschehen gehabt hätte – wild von der Bühne weg und auf die Bäume zu, aus denen die Vögel in einer Explosion aus schwarzen Federn stoben. Als die Linse wieder auf die Bühne gerichtet wurde, war der Mord schon geschehen, und man sah nur noch den Epilog. Konstantin kniete über dem gestürzten Papst, mit Blut an den Händen und einem Gesichtsausdruck, der ihn fast ein bisschen wahnsinnig aussehen ließ. Der Silberdolch lag neben ihm auf dem roten Teppich.
    Die Aufnahmen aus den beiden anderen Winkeln waren nicht viel besser. Die Kamera auf der rechten Seite der Bühne blieb zwar auf die Hauptakteure gerichtet, doch dann kam Konstantin mit Schwung ins Bild geflogen, und so, wie er seinen Körper wand, um sich zwischen den weißgekleideten Papst und den Assassinen zu werfen, verdeckte er den Moment des eigentlichen Mordes. Der Bildausschnitt war zu schmal, um zu zeigen, dass der Schweizergardist nur Augenblicke zuvor den Judasdolch gezogen hatte. Der Blick von links war noch schlechter: Hier sah man den Papst und den Gardisten nur von hinten – dafür war der Ausdruck von Wut/Verzweiflung/Wahnsinn auf Konstantins Gesicht umso besser zu erkennen, als er sich auf die beiden stürzte.
    Egal, wie oft er sich die Videoaufnahmen auch ansah, er konnte kein einziges Bild finden, auf dem man den Dolch sah, bevor er im Hals des Papstes steckte.
    Natürlich waren das nicht die einzigen Kameras, die das Geschehen auf der Bühne gefilmt hatten. Irgendjemand in der Menge dort hatte die Wahrheit auf einem Handy oder einer Digitalkamera festgehalten. Unglücklicherweise gab es keine Möglichkeit herauszufinden, wer dieser jemand war. Wenn dreitausend Menschen auf dem Platz gewesen waren, hatten sich vielleicht drei Prozent von ihnen aus irgendeinem Grund nicht in Richtung der Gewehrschüsse oder dem Gewimmel in den Bäumen umgedreht. Drei Prozent waren neunzig Menschen. Von diesen neunzig war die Hälfte bestimmt zu weit entfernt gewesen, oder sie hatten keine gute Sicht auf die Bühne gehabt. Das hieß, dass fünfundvierzig Leute in die richtige Richtung geblickt und freie Sicht auf die Bühne gehabt hatten. Bei diesen fünfundvierzig Zuschauern musste man zwischen denen auf der rechten und denen auf der linken Seite unterscheiden. Statistisch gesehen würde es sich dabei nicht um zwei gleich große Hälften handeln, das war nur äußerst selten der Fall. Wenn es allerdings so gewesen wäre, dann hätten dreiundzwanzigundeinhalb Leute auf der rechten Seite der Bühne gestanden und hätten beobachten können, wie der Dolch gezogen wurde.
    Jetzt kam die wandernde Aufmerksamkeit der Menschen ins Spiel. Wie würden die Leute reagieren, wenn ein Schuss fiel? Würden sie sofort mit dem Schlimmsten rechnen und angstvoll zu dem Mann auf der Bühne blicken? Das würden sie ganz bestimmt tun. Fünfzehn von den dreiundzwanzigeinhalb würden genau auf den Papst achten, wenn der Gewehrschuss über

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