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Silber

Titel: Silber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Savile
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Und ohne Ronan beleidigen zu wollen, er kann sich nicht in das Land einfühlen. Das ist völlig unmöglich.“
    Sie sah, dass Sir Charles ihr widersprechen wollte und schnitt ihm das Wort ab, bevor er den Mund öffnen konnte. „Und sagen Sie jetzt ja nicht, dass er das alles schon in Irland erlebt hat. Das war in mehrerer Hinsicht etwas völlig anderes. Und jetzt verschonen Sie mich bitte mit dem Macho-Gehabe und geben Sie diese Aufgabe der Frau, die am besten dafür qualifiziert ist.“
    Der Alte blickte erst sie an, dann Ronan und schwieg einen Moment. Er schien den Gesichtsverlust vor seinem Team gegen die Vorteile seiner Sturheit abzuwägen, als ob es eine Rechnung mit zwei Wirtschaftsfaktoren wäre, die sich gegenseitig ausgleichen könnten.
    Noah fragte sich, wie zum Teufel der Alte es fertig brachte, ihr eine Absage zu erteilen. Er wusste, dass er es an seiner Stelle nicht gekonnt hätte. Orla war Feuer und Flamme, und wie eine Motte fühlte er sich zu ihrem gleißend hellen Licht hingezogen, bis ihre Glut sein Fleisch verbrennen würde.
    Sir Charles rieb sich über den Nasenrücken und verzog die Lippen zu etwas, das alles andere als ein Lächeln war. „Wenn ich mit Ihnen diskutiere, komme ich mir manchmal vor wie Sisyphos mit seinem verdammten Felsblock“, sagte der alte Mann. Und manchmal, dachte Noah, wünschte ich, in der Schule besser aufgepasst zu haben, wenn ich euch beiden zuhöre. „Welchen Teil von ‚Ich werde nicht darüber diskutieren’ haben Sie nicht verstanden, Orla? Nein, bemühen Sie sich nicht zu einer Antwort, ich kenne sie bereits. Es war der Teil, in dem ich Ihnen nicht Ihren Willen gab. Manchmal benehmen Sie sich wie ein eigenwilliges Kind. Ich habe gute Gründe dafür, dass ich Sie nicht nach Israel schicken will, aber wenn Sie so erpicht darauf sind, sich umbringen zu lassen, dann gehen Sie nach Israel.
    Ronan, das heißt, dass sie hier auf Patrouille gehen werden. Maxwell wartet bereits auf den Rest von Ihnen, um Sie zum Flughafen zu bringen.“

5
DIE VEREHRUNG DES SILBERS
    Der alte Mann mühte sich mit dem Rollstuhl ab, er stieß mit der Armlehne gegen den Türrahmen, als er in eines der vielen Erdgeschosszimmer abbiegen wollte. Er verfluchte das verdammte Ding, setzte ein Stück zurück und riss scharf am rechten Rad, um sicherzustellen, dass er beim zweiten Versuch hindurchkam. Eigentlich gab es keinen Grund für dieses Manöver, denn es handelte sich um einen elektrischen Rollstuhl. Sir Charles hätte ihn leicht und elegant durch die Öffnung steuern können, indem er den kleinen Joystick an der Armlehne benutzte, aber er wollte einen frustrierten Eindruck hinterlassen. Um diese Rolle zu Ende zu spielen, musste er dieser „Frustration“ mit etwas Körpereinsatz Ausdruck verleihen. Alles andere hätte nur seine Zufriedenheit verraten.
    Er schlug die Tür hinter sich zu.
    Dann lächelte er das Lächeln eines Mannes, der genau das erreicht hatte, was er wollte.
    Der Raum war wieder eine andere Welt innerhalb der Grenzen von Nonesuch. Er war teils Studierzimmer, teils Refugium. Es war der Zufluchtsort des Alten. Hier stand ein antiker Schreibtisch, auf dessen grüner Lederfläche sich eine Schreibunterlage und die dazu passende Tischlampe aus grünem Glas befanden. Die Sockelbeine des Tisches waren abgeschlagen und zerschrammt, wo der Rollstuhl dagegengestoßen war. Hinter dem Tisch hing ein Spiegel an der Wand, durch den man ein dunkles und bedrückendes Gemälde von Rembrandt sehen konnte, das mit dicken und schweren Ölfarben gemalt war. Das Gemälde war unbezahlbar – oder genauer gesagt, jenseits von bezahlbar –, weil der Rest der Welt glaubte, dass es zu den verlorenen Schätzen der Kunstwelt gehörte. Es war eine Version von Rembrandts Meisterwerk von 1629,
Der Reuige Judas
. Das Gemälde übte eine ungeheure Faszination auf Sir Charles aus, ebenso wie die Vorstellung, dass es für den bußfertigen Sünder keine Erlösung gab. Was hatte Petrus noch gleich über die Reue des Judas geschrieben? Nach einem kurzen Moment fiel es ihm ein:
Die Traurigkeit der Welt aber wirkt den Tod
.
    Es fiel ihm in letzter Zeit immer schwerer, sich an die kleinen Alltäglichkeiten des Lebens zu erinnern, und das machte Sir Charles Angst. Die Vorstellung, dass seine Geistesschärfe in die Dunkelheit abgleiten könnte, quälte ihn zutiefst. Er hatte sich geschworen, seine sterbliche Hülle hinter sich zu lassen, wenn er jemals seinen eigenen Namen vergessen sollte; allerdings war er nicht

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