Silber
Wagen mit Diplomatenkennzeichen abgeholt worden sind, und dass ich der Meinung bin, dass die Geschichte langsam interessant wird.“
„Ich werde es Sir Charles sofort ausrichten.“
„Sehr verbunden.“
12
DER ALLIGATOR-MANN
Orla Nyrén verließ das Flugzeug am Terminal drei des israelischen Flughafens Ben Gurion.
Sie stieg aus der klimatisierten Kabine in den vierzig Grad heißen Nachmittag in Tel Aviv und blickte zum Himmel. Die Sonne fühlte sich ehrlich und gut an. Es war schon lange her, dass sie das letzte Mal israelischen Boden betreten hatte, doch vor langer Zeit war hier ihre zweite Heimat gewesen.
Die Bodencrew schwärmte über den Asphalt aus, sie zogen den Treibstoffschlauch des Tankfahrzeugs zur Unterseite der Gulfstream. Die Männer trugen alle identische weiße Overalls, wodurch sie eine erschreckende Ähnlichkeit mit den ABC-Teams der Armee hatten. Sie bewegten sich mit der Effizienz von Robotern; jeder erfüllte genau seine Aufgabe. Die umliegenden Vorfelder waren alle mit Verkehrsmaschinen besetzt, deren Seitenleitwerke die Zugehörigkeiten zu allen erdenklichen Nationen zeigten. Ein Stück weiter unten rollte ein riesiger Airbus A380 zu seinem Gate, er ließ alle anderen Flugzeuge auf dem Rollfeld winzig klein erscheinen.
Orla zupfte ihren Rock zurecht. Ihre Absätze klonkten die Stufen der Gangway hinab.
Ihre Eskorte erwartete sie am Ende der Treppe. Es war ein gutaussehender Mann mit dunkler, olivfarbener Haut und einem sorgfältig gestutzten Zwei-Tage-Bart. Er trug einen dünnen Leinenanzug und darunter ein weißes Hemd mit zerknittertem Kragen. Er streckte ihr seine Hand entgegen, als sie die letzte Stufe erreichte. Sie war nicht ganz sicher, ob das eine deplatzierte ritterliche Geste oder eine Begrüßung darstellen sollte. Orla ergriff die Hand rasch und schüttelte sie. Sein Händedruck war unangenehm fest. „Orla Nyrén“, sagte sie, als sie auf den Asphalt trat.
„Uzzi Sokol“, stellte sich ihr Gegenüber mit einem dünnen Lächeln vor. „Folgen Sie mir bitte.“ Er machte ohne ein weiteres Wort auf dem Absatz kehrt und führte sie auf das Gebäude mit den Terminals zu. Sokol bewegte sich mit der Arroganz eines Berufssoldaten. Orla musste einen halben Schritt schneller gehen, als es bequem gewesen wäre, um auf dem Weg zum Schalter für besondere Zollverfahren nicht von ihm abgehängt zu werden. Als sie hier noch im Einsatz gewesen war, hatte sie es täglich mit einem Dutzend solcher Kerle zu tun gehabt. Es war genau dieses arrogante Verhalten, das sie zu einem Bürger zweiter Klasse degradierte, und es schien tief in der männlichen Psyche verankert zu sein. Dieser durchweg primitive, sexistische Schwachsinn brachte sie innerhalb kürzester Zeit zur Weißglut. Orla hatte den Mann vor nicht einmal sechzig Sekunden kennengelernt, und schon musste er ihr gegenüber seine männliche Dominanz unter Beweis stellen.
Das kannst du gleich vergessen
, dachte sie, und hörte auf, sich seinem Stechschritt anzupassen. Sie drehte sich um und warf einen Blick zurück auf Sir Charles’ Gulfstream. Neben dem Airbus wirkte sie vielleicht wie ein kleines Spielzeug, aber sie stellte durchaus eine Meisterleistung des Flugzeugbaus dar. Sie sah Ryan, den Piloten des Alten, auf den Stufen zur Einstiegsluke sitzen. Sein gestärktes weißes Hemd leuchtete trotz des eben absolvierten Langstreckenflugs geradezu, er sah von Kopf bis Fuß wie ein schneidiger Aeronaut aus. Er lächelte Orla zu und tippte sich mit zwei Fingern grüßend an die Stirn. Sie erwiderte sein Lächeln in dem Wissen, dass die wenigen Sekunden ihrer Pause gerade ausgereicht haben mussten, um den davonstürmenden Uzzi Sokol auf die Palme zu bringen. Und das war schließlich ihre Absicht gewesen.
Der Israeli wartete neben der Sicherheitstür auf sie, er konnte seine Ungeduld nur schwer verbergen. Orla lächelte, was ihn nur noch mehr zu verärgern schien. Sie folgte ihm durch die Tür in das Terminalgebäude, dort gingen sie durch einen schmalen Korridor, der mit Glaswänden von der Halle abgetrennt war. Durch die Scheiben sah sie unzählige Passagiere durcheinander laufen und darauf warten, dass ihr Flug aufgerufen wurde. Noch bevor sie den Korridor zur Hälfte durchquert hatte, hatte sie bereits Durchsagen in fünf verschiedenen Sprachen gehört.
Sokol wechselte kein Wort mehr mit ihr, bis sie auf der anderen Seite des Zollbereichs angekommen waren. Das Diplomaten-Schildchen an ihrem Aktenkoffer hielt die Beamten davon ab,
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