Silber
wenn der Komet vorbeijagt
.
Kometen, tote Tiere und Hungersnöte – damit konnte er nichts anfangen.
Die meisten der anderen Artikel, die sich mit der Prophezeiung beschäftigten, spiegelten die Buchstaben von Mabus und nannten den bösen Mann Sudam. Und wie schon bei Nostradamus’ früheren Prophezeiungen, bei denen Hister zu Hitler und Napaulon Roy zu Napoleon Bonaparte uminterpretiert worden waren, wurde aus Sudam bald Saddam. Von hier war es nur noch ein kleiner Schritt, die Hinrichtung von Saddam Hussein als den Anfang des Endes zu verkünden, wie Nostradamus es vorhergesagt hatte.
Er stieß auf einen weiteren Vers, die Quatrain 77 aus Centurie 8:
Der Antichrist wird die drei recht bald vernichten
,
Siebenundzwanzig Jahre wird sein Krieg dauern
,
Die Ketzer getötet, gefangen oder ins Exil geschickt
;
Blut, menschliche Körper, Wasser und roter Hagel bedecken die Erde
.
Jude bemerkte schnell, dass diese so genannten Prophezeiungen mit ihren ungenauen Formulierungen praktisch jede Interpretation erlaubten, die den eigenen Zwecken gerade am besten diente. Siebenundzwanzig Jahre Vergeltungskrieg für den Tod von Saddam Hussein? Und Hussein selbst sollte plötzlich der Märtyrer der Arabischen Welt sein? Anstatt den Frieden zu bewahren, sollte die Hinrichtung dieser Schlange das Ende aller Tage eingeläutet haben? Verblüffenderweise gab es mehr als genug Menschen, die genau das glaubten. Sie beriefen sich auf die steigende Zahl der terroristischen Angriffe auf den Westen seit der Exekution Saddam Husseins im Jahr 2006. Das musste allerdings nicht heißen, dass sie damit auch Recht hatten. Vielleicht handelte es sich bei den Autoren der Artikel auch lediglich um einen Haufen Jugendlicher, die ein paar Bücher besaßen und tierisch auf Weltuntergangstheorien standen. Das gehörte zu den großen Freuden des Internets: Jeder konnte sich dort Gehör verschaffen – auch, wenn er gar nichts zu sagen hatte.
Trotzdem jagten alleine die Gedanken daran Jude Lethe einen eisigen Schauer die Wirbelsäule hinab.
Die nächste Stunde war er versunken in die Welt von Grace Weller. Er entnahm ihren Berichten, dass der Mabus aus ihren Aufzeichnungen zumindest am Tag des letzten Eintrags noch quicklebendig gewesen war; dieser Umstand biss sich mit der Hussein-Theorie.
Er war immer noch überzeugt davon, dass alles seinen Ursprung in Masada haben musste – und dem, was Grey Metzger und die anderen dort gefunden hatten. Aber welche Verbindung gab es zwischen den Ausgrabungen in der Sikarier-Festung, der Verkündigung des Antichristen und den dreizehn Selbstmorden? Er konnte nur soviel mit Bestimmtheit sagen: Grace Weller war fest davon überzeugt gewesen, dass Metzger tief in die Sache verwickelt war. Sie hatte ihn drei Jahre lang beobachtet. Daraus folgte, dass der Grund für seine Beschattung noch weiter zurückliegen musste – vielleicht sogar im Jahr 2004, bei den archäologischen Ausgrabungen in Masada? Er musste mehr darüber herausfinden, wer diese Frau war und woran sie gearbeitet hatte; dafür würde er sein Geisternetz benutzen und einen Blick auf die Daten des MI6 werfen. Aber zuerst brauchte er eine Zigarette, um seinen Kopf wieder klar zu bekommen. Alles deutete darauf hin, dass es eine lange Nacht werden würde.
Lethe machte von seinen Ergebnissen Ausdrucke für den Alten; das würde er sich bestimmt ansehen wollen. An Lethe nagte das Gefühl, dass er nur an drei oder vier Puzzleteilen rüttelte, anstatt das Mosaik in seiner vollständigen Pracht zu sehen. Vielleicht hatte der Alte einen besseren Überblick.
Er steckte sich das Bluetooth-Headset wieder ans Ohr und rief oben bei Sir Charles an. Max ging nach dem zweiten Klingeln an den Apparat. „Jetzt ist kein günstiger Zeitpunkt, Mister Lethe“, sagte der Butler sofort in den Hörer, „Sir Charles folgt einem abendlichen menschlichen Bedürfnis.“
„Sagen Sie ihm, dass ich dringend mit ihm sprechen muss. Es handelt sich um eine echte Bis-zum-Hals-in-der-Scheiße-Angelegenheit.“
„Sie benutzen solch ein farbenfrohes Vokabular, junger Sir.“
„Erzählen Sie ihm einfach, dass der MI6 einen unserer Selbstmörder drei Jahre lang unter Beobachtung hatte.“
„Und wo es einen gibt, gibt es wahrscheinlich noch mehr. Ich nehme an, das ist die Essenz Ihrer Botschaft?“, sagte Max, in einer kurzen Redepause von Lethe.
„Erwähnen Sie auch, dass Koni in Berlin auf Schwierigkeiten gestoßen ist, dass diese Schwierigkeiten anschließend von einem
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