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Silber

Titel: Silber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Savile
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das jetzt einen Namen, Symptome und einen Krankheitsverlauf hatte. Und das Schlimmste daran war, dass es für unzählige Menschen den Tod bedeutete.
    Sechsunddreißig Minuten.
    Sie waren so dicht dran gewesen.

14
SORGENVOLL IN SICHERHEIT
    Ronan Frost blickte zu dem riesigen Gemälde auf, das fast die gesamte Seitenwand eines alten Bürogebäudes einnahm; es zeigte ein kleines Mädchen in einem roten Mantel. Neben ihr sah Frost geradezu winzig aus, sie war mindestens zehn Mal so groß wie er. Er konnte sich nicht vorstellen, wie der Streetart-Künstler dieses Werk geschaffen hatte, aber es war eine beeindruckende handwerkliche Leistung. Das Gesicht des Mädchens und die kaputten Spielsachen, die um ihre Füße herum verstreut lagen, strahlten Traurigkeit aus. Zumindest hatte er es auf den ersten Blick für Spielsachen gehalten, tatsächlich handelte es sich jedoch um politische Symbole: Es waren die zerbrochenen Konstrukte des Staats und der Gesellschaft, die dem verwöhnten Kind zu Füßen lagen. Frost gefiel das Bild nicht. Es erinnerte ihn zu sehr an die von Frust gekennzeichneten Straßenkunstwerke in der Falls Road in Belfast, und damit beschwor es weitere Erinnerungen herauf, auf die er gut verzichten konnte.
    Die meisten anderen Wände der Straße waren mit den üblichen Tags der Jugendbanden und Hakenkreuzen aus verlaufener Sprühfarbe beschmiert. Neben dem kleinen Mädchen in Rot wirkten die Hakenkreuze noch infantiler als sonst, als ob Kinder Politiker spielen würden und dabei einfach ohne Sinn und Verstand durcheinanderriefen.
    Ronan Frost hatte acht der dreizehn Häuser gefunden, in denen die Opfer gelebt hatten, und überall hatte er dasselbe vorgefunden. Die Wohnungen waren allesamt durchsucht worden. In jeder von ihnen hatte er Hinweise auf ein Familienleben gefunden, die Familien selbst aber waren verschwunden. Jede der Wohnungen hatte so ausgesehen, als ob sie überstürzt verlassen worden wäre. Stehen gelassenes, verschimmeltes Essen stand auf den Wohnzimmertischen vor dem Fernseher. In einem Haus lief das Hauptmenu einer DVD in Endlosschleife und spielte einen dreißig Sekunden langen Ausschnitt aus einer beschwingten Filmmusik immer und immer wieder ab. Frost wusste, dass die Musik schon seit mindestens einer Woche lief. Es grenzte an ein Wunder, dass die unablässige akustische Heiterkeit die Nachbarn noch nicht in den Wahnsinn getrieben hatte. Obwohl die Wohnungen ‚gesäubert’ waren, gab es dennoch in jeder von ihnen Gegenstände, die einen Bezug zu Israel hatten. Das kam Frost merkwürdig vor – wenn sie nicht die Spur nach Masada verwischen wollten, was war dann ihre Absicht gewesen? Er hatte keine Antwort auf diese Frage.
    Frost setzte sich mit Lethe in Verbindung, um sich einen Bericht über die Fortschritte der anderen einzuholen. Es war nicht einfach, eine Operation zu koordinieren, die sich über vier Länder erstreckte. Je früher sie wieder zusammen waren, desto besser. Sie verfügten nur über begrenzte Ressourcen, und am dünnsten war ihre Personalstärke. Sie waren nicht die Armee, sie konnten nicht ein Dutzend Agenten im Feld einsetzen. Doch immerhin hatten sie Lethe, der ihm eine kurze Zusammenfassung der letzten Geschehnisse gab. Rom war gefallen, das bedeutete, dass sich ihre Annahme, welche beiden Ziele als erstes getroffen werden würden, bewahrheitet hatte. Von hier an tappten sie allerdings im Dunkeln. Morgen konnte jede der restlichen elf Städte zum Ziel eines Angriffs werden.
    Von allem, was Lethe berichtete, fand er das Schicksal von Grace Weller, der MI6-Agentin, die ihr Leben der Beschattung des Selbstmörders von Berlin gewidmet hatte, am interessantesten. Sie war mit hoher Wahrscheinlichkeit schon tot, doch sie hatte es geschafft, ihnen eine Spur zu hinterlassen, der sie, wie Gretel, tiefer in den Wald der bösen Hexe folgen konnten. Die Dokumente auf dem USB-Stick waren ihre Brotkrumen. Mit anderen Worten: Grace Weller war etwas Greifbares. Sie war real, sie hatte eine Personalakte, ein Büro, eine Wohnung, und alles, was zu einem Leben dazugehörte. Sie hatte ein paar Jahre damit verbracht, Metzger zu beobachten, aber das bedeutete nicht, dass sie in dieser Zeit ihre eigene Wohnung nicht mehr betreten hatte. Er musste herausfinden, wo sie gelebt hatte – und er musste herausfinden, für wen genau sie gearbeitet hatte. Er musste mit ihrer Kontaktperson hier in Großbritannien sprechen. Er musste wissen, was sie Berlin gemacht hatte. Er wollte herausfinden,

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