Silber
Auferstehung gegeben. Ohne den Tod und die Auferstehung hätten die Sünden der Menschen nicht getilgt werden können. Ohne Judas hätte es keinen neuen Glauben gegeben, Menachem. Diese Wahrheit darfst du niemals vergessen. Er hat alles geopfert, und doch wird sein Andenken geschmäht.“ Er leerte die Silbermünzen auf den Boden und verteilte sie mit den Fingern. „Und alles nur deswegen.“
„Geld?“
„Geld, das er von dem Hohepriester Kajaphas dafür erhalten hat, damit er durch einen Kuss seinen Freund Jesus zu erkennen gab. Jetzt wird er wegen dieser Münzen als Schurke dargestellt, aber das war er nicht. Genau hier, in der Nacht vor dem Kuss, hat Jesus mit meinem Vater gesprochen und ihn angefleht, stark zu bleiben, weil er selbst bereits ins Wanken geraten war. Verstehst du, sein Verrat, die Qual, die er über sich ergehen lassen musste, das war nicht seine Schuld.“ Es gab so viel, was Ja’ir seinem Sohn begreiflich machen wollte, aber es war so schwer in Worte zu fassen. „Sie waren wie Brüder, ihre Liebe war dicker als Blut. Und deine Großmutter stand zwischen ihnen. Sie bewunderte beide, diese zwei großen Männer. Es gibt viele große Lügen in unserer Zeit, doch dies ist die Wahrheit, und von heute an musst du dich daran erinnern. Sorge dafür, dass die Welt es nicht vergisst, Junge, und lass dir nichts anderes einreden: Sie waren Freunde, bis in den Tod. Das ist die einzige Wahrheit. Sorge dafür, dass die Welt das nicht vergisst.“
„Das werde ich, Vater, ich verspreche es.“ sagte der Junge feierlich.
Ja’ir lächelte sanft. „Ich weiß, mein Sohn. Ich weiß.“
„Was ist danach geschehen?“, fragte Menachem, als ob es eine ganz normale Geschichte wäre, von der er nun das Ende hören wollte.
„Nach dem Streit im Tempel war Jesus in Lebensgefahr. Die Pharisäer konnten nicht zulassen, dass dieser Mann sich frei unter den einfachen Leuten bewegte und eine Botschaft von Liebe ohne Angst verkündete. Ohne Angst, mein Junge, das ist das Wichtige dabei. Liebe ohne Angst. Liebe ohne Habgier. Bedingungslose Liebe. Er führte die Menschen aus den Tempeln und brachte sie zurück zu den Wurzeln des Glaubens. Er war ihr Lehrer. Er verabscheute zutiefst, was die Hohepriester aus seinem Gott gemacht hatten, wie sie ihn vor den Menschen in ihren riesigen Tempeln und hinter falschen Götzen versteckten. Er wollte, dass die Menschen das Werk Gottes verehrten, nicht die von Menschenhand geschaffenen Abbilder davon.“ Ja’ir hob einen der Steine auf und hielt ihn so, dass der Junge ihn sehen konnte. „Sieh dir diesen Stein genau an. Stell dir vor, wie die Zeit, das Wasser und die Kräfte der Erde zusammenwirken mussten, um ihm diese Form zu geben. Das, mein Junge, ist ein Wunder, das Gottes würdig ist. Wenn man viele Steine übereinander stapelt, um eine Mauer zu errichten, ist das nur ein Produkt des menschlichen Verstandes. Verstehst du den Unterschied?“
Der Junge dachte einen Moment darüber nach. „Ja, Vater“, sagte er schließlich. „Der Stein war schon immer da, egal, welche Form wir ihm geben. Wie ein Baum. Er spendet von sich aus Schatten und bringt Früchte hervor, oder aber der Zimmermann formt das Holz nach seinen Bedürfnissen.“
Ja’ir lächelte. Der Junge hatte einen wachen Verstand. „Und welches von beidem ist das Wunder?“
„Das erste, der Baum.“
„Aber es sind beides Schöpfungen, oder nicht?“
„Nein, Vater. Das eine ist Teil der Schöpfung, das andere ist von Menschenhand geschaffen.“
„Sehr gut, Menachem. Sehr gut.“ Ja’irs Lächeln wurde breiter. Er fragte sich, ob er dieses Konzept so schnell erfasst hatte, als er so alt gewesen war wie sein Sohn jetzt. Er bezweifelte es. „Der Mann aus Nazareth schuf den Gott aus ihrem Buch neu, er trug ihn aus den Tempeln auf die Felder, zurück zu seinen ursprünglichen Wundern. Und er erinnerte die Menschen daran, dass sie die Steintempel nicht brauchten, um ihn zu verehren. Das machte den Pharisäern Angst. In ihren Tempeln konnten sie die Menschen kontrollieren. Ohne die Tempel hatten sie keine Macht mehr über sie. Und noch schlimmer, wenn man den Menschen ein anderes Bild von ihrem Gott gab, wenn er plötzlich ein liebevoller Vater war statt einer unnahbaren, rachsüchtigen Gottheit, die die Menschheit schon mit einer Flut und der Pest bestraft hat, dann haben die Menschen keine Angst mehr. Ohne Macht und ohne Angst waren diese Männer nichts. Und davor haben sie sich am meisten
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