Silber
ins Visier. Der Entführer drehte ihm den Rücken zu, fast als ob er ihn auffordern wollte, die Kugel in seinen Hinterkopf zu jagen. Frost scherte sich nicht darum, ob es feige war, wenn er das Weiße in den Augen seiner Feinde nicht sehen konnte. Das war Hollywood-Mist. Ein toter Handlanger war ein toter Handlanger. Es spielte keine Rolle, wie er starb. Er würde keine Extrapunkte im Himmel für Handlanger erhalten, weil er die Kugel von vorn abbekommen hatte. Ehre war etwas für Samurai. Bei der Rettung dieser Frauen und Kinder gab es keinen Platz dafür.
Er hielt die Waffe ruhig und atmete tief. Er wollte die Schüsse beim Ausatmen abgeben, um besser zielen zu können.
Unter ihm streckte der Entführer die Arme in die Luft und drehte sich auf dem Absatz um. Die MP5 prallte von seiner Hüfte ab. Er sah nach oben und schien Frost einen Herzschlag lang direkt anzublicken. Frost verstärkte den Druck auf den Abzug, bis nur eine Haaresbreite fehlte, um den Schuss auszulösen.
Dann hielt er inne.
Im letzten Moment wandte der Bewaffnete den Blick ab und bellte seinen Kumpanen etwas zu. Frost rechnete damit, dass sie das Feuer auf ihn eröffnen würden. Doch nichts dergleichen geschah. Ihre Stimmen hallten laut durch den riesigen Raum des leeren Lagerhauses. Frost brauchte ein paar Sekunden, bis er begriff, warum sie so angespannt waren – sie warteten auf Anweisungen. Sie unterhielten sich darüber, ob sie in die Zelle gehen und die Geiseln töten sollten. Ihr Kontaktmann hatte sich nicht gemeldet, und langsam wurden sie mürrisch. Der Witzbold mit der MP5 schien am meisten darunter zu leiden, dass er nicht schießen durfte.
Frost erlöste ihn von seinem Elend.
Der Hinterkopf des Mannes explodierte in einer Fontäne aus Blut und Gehirn.
Frost gab einen zweiten Schuss ab und traf einen der Männer, die auf den Kisten saßen, genau in die Stirn. Sein Körper wurde zurückgeworfen, ein Riss öffnete sich über seiner rechten Augenbraue, während die Augen sich vor Schock weiteten. Es war ein skurriler Gesichtsausdruck zwischen Überraschung und Angst; mit dieser Miene wollte man nicht unbedingt im Jenseits eintreffen. Der Tote rutschte seitlich von seinem Sitzplatz auf der Kiste. Im Fallen trat sein linkes Bein in die Luft, es zuckte noch ganze dreißig Sekunden lang unkontrolliert weiter, bis der letzte Rest Lebenskraft seinen Körper verlassen hatte.
Frost wartete nicht so lange.
Während die beiden verblieben Männer reagierten und Deckung vor der unsichtbaren Bedrohung suchten, rannte er auf die Treppe zu. Seine Stiefel klapperten laut auf den Metallgittern, die Wände der Halle warfen das Echo seiner Schritte zurück. Der Knall eines Schusses war zu hören. Er wusste nicht, wie weit die Kugel ihn verfehlte, es war ihm auch egal. Sie hatte ihn nicht getroffen – das war das einzige, was zählte. Ein weiterer Schuss krachte. Frost warf sich nach vorn, landete hart auf dem Steg und rollte sich über die rechte Schulter ab. Diesmal sah er eine Wolke aus Betonstaub, wo die Kugel fünfzehn Zentimeter neben seinem Kopf in der Wand eingeschlagen war. Er kam auf die Füße und rannte sofort weiter.
Das laute Stakkato einer Maschinengewehrsalve dröhnte durch das Lagerhaus. Einschusslöcher zogen sich über die Mauer und fraßen sich in die Ziegel. Frost legte die letzten Meter bis zur Treppe halb taumelnd, halb sprintend zurück. Er spürte den Luftzug der vorbeirasenden Kugeln im Gesicht und einen stechenden Schmerz, als eine davon seine Wange streifte.
Er ignorierte den Schmerz und ließ sich auf die Knie fallen.
Eine zweite Salve prallte funkenschlagend von dem Metallgeländer ab. Frost wich zurück und warf sich gegen die Wand, dann stieß er sich wieder von ihr ab und hechtete durch die Tür in den Treppenaufgang. Er atmete schwer. Das Adrenalin, das durch seine Blutbahnen gepumpt wurde, brachte ihn zum Zittern. Rufe folgten ihm dorthin, wo die Kugeln es nicht konnten. Er erkannte, wie dumm seine letzte Aktion gewesen war, als er um die erste Kurve des Abstiegs stürmte, und er laute Stimmen von unten hörte, die die Treppe herauf auf ihn zukamen. Es war unsinnig, wieder nach oben zu gehen, also blieb nur eine Richtung übrig. Er musste sich schnell etwas einfallen lassen.
Sie würden davon ausgehen, dass er die Stufen herunterkam und um sich schoss. An ihrer Stelle hätte er zu beiden Seiten des Treppenhauses Schützen postiert, die die linke und die rechte Flanke deckten und ein gutes Schussfeld bis zur
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