Silberband 002 - Das Mutantenkorps
die beiden IVs konzentrieren, um ihnen bei der Flucht zu folgen. Ellert würde seinen Körper zwar verlassen, aber in der Gegenwart bleiben. John würde den Augenblick erkennen, in dem sich die IVs zur Flucht entschlossen. Der Mann aber, der bisher unbeachtet im Hintergrund gestanden hatte und den niemand sah, würde seinen Körper entmaterialisieren und, genau wie Ellert, ihnen ebenfalls folgen. Tako Kakuta, der Teleporter, stand hinter einem der mächtigen Generatoren und ließ keinen Blick von Marshall, der ihm das Zeichen geben sollte.
Eigentlich konnte nichts schiefgehen, wenn man nichts vergessen hatte.
Ellert war von seiner Schalttafel zurückgetreten.
Lehmann beobachtete die Kontrollinstrumente. In seinen Augen war ein fanatisches Funkeln. Er gab sich keine große Mühe mehr, seiner Rolle gerecht zu werden. Li blieb ruhig.
»Schalten Sie Einstellung sieben ein«, sagte Lehmann unvermittelt.
Das war der Augenblick.
Anne Sloane kam näher. Ihre Blicke hefteten sich auf den Hebel an Ellerts Schalttafel. Langsam, dann immer schneller sank er tiefer, glitt über die verhängnisvolle 7 hinweg und schnellte dann bis zum Anschlag herab. In der gleichen Sekunde flossen die gesamten Stromreserven der Generatorenanlage durch die Leitungen des Reaktors, wurden von den Sendeantennen ausgestrahlt, durchdrangen den Block des neuen Elements und wurden darunter wieder abgefangen, um ihren Kreislauf erneut zu beginnen. Zwanzig Sekunden, wußte Anne, konnte das ohne Schaden geschehen. Dann erst begann eine unaufhaltsame Kettenreaktion. Niemand würde ihr entkommen, wenn der einzige Rettungsweg verschlossen blieb.
Sie wandte sich um und richtete ihren Blick auf die schwere Bleitür. Die unsichtbaren Energien ihres Geistes durchdrangen das Metall und schoben von außen den Riegel vor. Niemand vermochte diese Tür nun von innen zu öffnen. Sie alle waren Gefangene einer bald losbrechenden Hölle.
Zwanzig Sekunden blieben, keine Sekunde mehr.
Professor Lehmann war herumgeschnellt. Für einen Augenblick verlor er die Fassung, als er den Hebel, wie von unsichtbarer Hand bewegt, nach unten gleiten sah. Wertvolle Sekunden vergingen, ehe der IV die notwendigen Informationen aus dem Gedächtnis seines Wirts holen konnte. Zwanzig Sekunden, das wußte er jetzt. Aber ehe er den Hebel in die ungefährliche Stellung zurückschieben konnte, brach der Stromkreis unter der Überbelastung zusammen. Funken sprühten und sprangen in grellen Blitzen über die zerplatzenden Sicherungen hinweg. Lehmann schrak zurück, als er den Hebel abkippen sah, von der ungeheueren Hitze halb geschmolzen. Der Gestank nach verbranntem Gummi und schmelzendem Metall drang beißend in seine Nase.
Li stand reglos. Hastig sandte er Impulse zu Lehmann, der in seiner Verwirrung nicht darauf achtete. Immer noch versuchte er, das Rätsel des von unsichtbarer Hand verschobenen Hebels zu lösen, ohne zu einem Ergebnis zu gelangen. Dann erst begriff er, daß nur Flucht ihn retten konnte. An die Möglichkeit, daß ihm fünf Sekunden blieben, einen ordentlichen Rückzug anzutreten, dachte er nicht. Die schwere Bleitür ließ sich nicht öffnen. Fünfzehn Sekunden waren vergangen. Die Katastrophe schien unvermeidlich.
Die beiden IVs wußten, daß ihnen keine andere Wahl blieb, als die menschlichen Körper aufzugeben, wollten sie nicht mit ihnen hier sterben. Ohne die notwendige Vorbereitung zogen sie sich zurück, drangen mit Gewalt in jene Welt ein, die dem körperlosen Bewußtsein vorbehalten ist. Zurück blieben die beiden leblosen Körper, die wie erstarrt darauf warteten, daß ihre Besitzer zurückkehrten.
John Marshall nickte Tako Kakuta zu. Der Japaner entmaterialisierte. Die Verfolgung war einfacher, als er geglaubt hatte.
Inzwischen überstürzten sich in der Brennkammer die Ereignisse.
Anne Sloane konzentrierte sich auf den glühenden Hebel und setzte ihre Reserven ein, um ihn in die Ausgangsstellung zurückzubringen. Aber der Versuch mißlang. Einige Tropfen des schmelzenden Metalls waren herabgetropft und erkaltet. Annes Kraft reichte nicht aus, um das Hindernis zu überwinden. Sie begriff das nicht. Sie wußte, daß sie tonnenschwere Gewichte mit der Kraft ihres Geistes heben konnte, aber nun mußte sie vor einem Hebel kapitulieren, weil die Anstrengung für sie zu groß gewesen und sie nun erschöpft war.
»Ellert – der Hebel. Ich kann ihn nicht bewegen!«
Ellert überlegte nicht. Er sprang zur Schalttafel und stemmte sich von unten gegen den
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