Silberband 004 - Der kosmische Lockvogel
nationale Interessen in den Vordergrund zu
stellen, ganz abgesehen davon, daß sie gesellschaftlichen Zwängen unterlagen, die sich im Verlauf
der menschlichen Geschichte entwickelt hatten. Rhodan und Bull saßen hier überzeugten Vertretern
unterschiedlicher Ideologien gegenüber.
Aber wohin hatte die Politik, die von diesen Menschen betrieben wurde, die irdische
Zivilisation geführt? Schier unlösbare Probleme wie Bevölkerungsexplosion, Umweltzerstörung,
Rohstoffmangel und zunehmende Radikalisierung im Umgang miteinander hatte die Menschheit an den
Rand des Abgrunds geführt. Der globale Atomkrieg war von Rhodan mit den überlegenen technischen
Mitteln der Dritten Macht verhindert worden, aber an der Grundeinstellung vieler Menschen hatte
sich nicht viel geändert.
Rhodan sah seine Besucher ernst an und sagte: »Die Schwierigkeiten auf dem Weg zur Bildung
einer Weltregierung werden von uns nicht übersehen. Clifford Monterny, zum Beispiel, ist nur eine
davon. Aber es gibt bei allem, was gegen unsere Pläne spricht, zwei gewichtige Argumente, die
sicher schwer zu widerlegen sind. Eines davon ist die Tatsache, daß die Menschheit in das
Zeitalter der Raumfahrt eingetreten ist und in anderen Größenordnungen als früher denken lernen
muß.« Er zögerte plötzlich, als sei er nicht sicher, ob er seine Überlegungen in diesem Kreis
darlegen sollte.
»Und das zweite?« fragte der Vertreter der Asiatischen Föderation. »Fahren Sie fort, Perry
Rhodan.«
»Das zweite«, sagte Rhodan ruhig, »ist das Selbstverständnis des Menschen als ein kosmisches
Wesen und die damit verbundene tiefe Sehnsucht nach Frieden.«
Der Chinese hatte aufmerksam zugehört. Er schüttelte den Kopf. »Glauben Sie nicht, daß ich
Ihre Meinung nicht teile, aber was ich zu sagen habe, ist der Auffassung der Opposition
entnommen. Sie sagten selbst, daß die Meinung Andersdenkender berücksichtigt werden muß.«
»Das ist sogar unsere Pflicht«, gab Rhodan zu. »Aber eine schwache Weltregierung birgt von
vornherein den Keim des Untergangs in sich. Außerdem frage ich mich, was ein vernünftiger Mensch
gegen eine geeinte Menschheit einzuwenden haben kann.«
Reginald Bull räusperte sich.
»Das ist ganz einfach«, sagte er, »wenn man den menschlichen Charakter berücksichtigt.
Natürlich hat niemand etwas gegen eine Einigung oder Weltregierung einzuwenden, solange er selbst
die Hand am Drücker hat. Aber jeder hat etwas gegen eine solche Einigung, wenn ein anderer die
Verantwortung trägt. Man kann es auch offener sagen: Niemand will, daß der andere regiert und man
selbst in eine untergeordnete Stellung zurückgedrängt wird, auch dann nicht, wenn es zum Wohl der
gesamten Menschheit geschieht.«
Die Vertreter der drei Großmächte sahen sehr betreten aus.
Wenig später fand eine interne Besprechung statt, an der die engsten Mitarbeiter
Rhodans teilnahmen.
Als Rhodan den Raum betrat, überschaute er mit einem Blick die Versammlung und stellte fest,
daß alle Gerufenen anwesend waren.
Oberst Freyt, sein offizieller Stellvertreter, stand mit dem Arkoniden Crest zusammen, dessen
hochgewachsene Gestalt über alle anderen hinausragte. Die weißen Haare, die hohe Stirn und die
rötlichen Albinoaugen kennzeichneten ihn als den Angehörigen des Volkes, das 34.000 Lichtjahre
entfernt ein Imperium beherrschte – oder noch zu beherrschen glaubte.
Dicht dabei stand Thora, die ehemalige Kommandantin des arkonidischen Forschungsschiffs, das
auf dem Mond havariert und von Perry Rhodan gefunden worden war. Sie sprach leise mit Bull,
verstummte jedoch in dem Augenblick, da Rhodan den Raum betrat. Sie beachtete Bull nicht mehr,
sondern verfolgte jede Bewegung Rhodans mit ihren forschenden Augen. Als Vertreter des
Mutantenkorps war der Telepath John Marshall erschienen. Auch die beiden Ärzte Dr. Manoli und Dr.
Haggard waren anwesend.
»Guten Abend, Freunde«, begrüßte Rhodan die Anwesenden. »Wir wollen es kurz machen. Von meiner
Seite aus gibt es nichts Neues zu berichten. Die Verhandlung mit den drei Weltmächten hat keine
positiven Anhaltspunkte ergeben. Ich fürchte, es wird noch lange dauern, bis wir von einem
greifbaren Ergebnis sprechen können.«
Oberst Freyt erhob sich. Sein sorgenvolles Gesicht zeigte Rhodan, daß es beunruhigende
Neuigkeiten gab.
»Das Relaisschiff Z-45 hat den Kontakt zur GOOD HOPE verloren«, sagte er. »Wir wissen nicht,
was auf dem Mars geschehen ist.«
Rhodan nickte
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