Silberband 007 - Atlan
dachte. Trotzdem war ich nicht
bereit, mein großes Geheimnis einfach auszuplaudern. Wahrscheinlich wäre ich auch auf Unglauben
gestoßen, was meine Situation nur noch verschlechtert hätte.
Zusätzlich zu dieser Überlegung hinderte mich noch mein zutiefst verletzter Stolz an einer
Aussage. Wer waren sie eigentlich, diese Terraner? Meine Vorfahren hatten sie noch als
Steinzeitwilde erlebt, und nun führten sie einen arkonidischen Wissenschaftler und Geschwaderchef
wie einen Verbrecher vor.
Ich fühlte, daß ich einem Dilemma zusteuerte. Mein Extrahirn nannte die Terraner Feinde, mein
fotografisches Gedächtnis erinnerte mich aber daran, wie viele Freunde ich unter ihnen gefunden
hatte.
»Sie beleidigen mich«, sagte ich schroff. »Wenn Sie meinen Worten mißtrauen, so wird Ihnen
eben keine andere Wahl bleiben, als mich weiterhin einzusperren. Ich verweigere die Aussage, was
mir nach Ihren Gesetzen zusteht.«
»Punkt Null, Sir«, warf Kosnow ein.
Ich wußte, was er damit sagen wollte. Die fähigen Männer der Abwehr hatten bei früheren
Vernehmungen längst erkannt, daß ich zu einem gewissen Zeitpunkt gefühlsmäßig kurzschloß. Bisher
hatte Kosnow die Befragungen immer abgebrochen.
Auch Mercant hielt sich an die Regel. Er erhob sich von seinem Platz, neigte grüßend den
schmalen Schädel und sagte: »Bitte sehr, wie Sie wollen, Admiral. Wir werden uns nachmittags
nochmals unterhalten. Bis dahin dürften mir neue Unterlagen über Ihre Person vorliegen. Wenn ich
Ihnen eine Agententätigkeit auf der Erde nachweisen kann, werde ich Sie vor Gericht stellen. Sie
sind nicht hasenrein, Mister Atlan.«
Die Anrede ließ mich krampfhaft die Augen schließen. Nun wurden sie wesentlich unhöflicher,
was ich ihnen aber nicht verübeln konnte. Ich frage mich ernsthaft, was ich an ihrer Stelle
unternommen hätte. Wahrscheinlich wäre ich mit einem rätselhaften Fremdling nicht so duldsam
gewesen.
Mercant verließ den Raum. Kosnow sah ihm sinnend nach. Nach dem Klappen der Tür wandte er sich
an mich.
»Sie kennen Mercant nicht, Sir«, beschwor er mich. »Warum, um alles in der Welt, sprechen Sie
nicht endlich? Okay, wir geben Ihnen einige Stunden Bedenkzeit. Sind Sie bereit, sich mit den
Studenten des Abgangssemesters auch heute zu unterhalten?«
Ich mußte mich beherrschen, um meiner Freude nicht Ausdruck zu geben. Seit dem 12. Mai 2040
hatte sich die Sitte eingebürgert, mich täglich in den großen Hörsaal der Raumakademie zu führen,
wo mir der wissenschaftliche Nachwuchs der Menschheit zahllose Fragen stellte. Es handelte sich
zumeist um medizinische, biologische und physikalische Fragen.
Die Ingenieure unter den Studenten wollten wissen, welche Triebwerke und Maschinen wir
eingesetzt hatten. Die Astronauten erwarteten von mir die Bestätigung der Richtigkeit
langwieriger Berechnungen über Hypersprünge.
Die angehenden Offiziere der Strategischen Raumflotte wollten erfahren, wie die arkonidischen
Kolonisatoren mit fremden Völkern umgegangen waren.
Die Diskussionen waren interessant. Eigentlich freute ich mich über das rege Interesse an der
großen Vergangenheit meines ehrwürdigen Volkes.
So sagte ich auch heute zu, obwohl ich diesmal nicht daran dachte, das unergründliche Wissen
meines fotografischen Gedächtnisses ausschließlich zum Nutzen der Akademieschüler
einzusetzen.
In meinen Berechnungen gab es einen Faktor, den ich während der vergangenen Wochen unter dem
Begriff ›unbekannt‹ eingestuft hatte. Es war ein menschliches Wesen, dessen Reaktionen einen
negativen oder auch positiven Schlüssel zu meiner Gleichung darstellten.
Es handelte sich um eine junge Kosmobiologie-Studentin namens Mariis Gentner und – sie
war nicht auf der Erde geboren worden.
Mariis gehörte zu jenen Kolonisten-Nachkommen der ersten Generation, die dem Venusdschungel
all das abgerungen hatten, was der Mensch zu seiner Existenz benötigte.
Es war mir nicht verborgen geblieben, daß zwischen den Venussiedlern und den Terranern gewisse
Spannungen bestanden. Diese geringen Unstimmigkeiten stufte ich als völlig normal und unabwendbar
ein. Die große Geschichte meines Volkes hatte immer wieder bewiesen, daß jede Kolonie nach der
Überwindung anfänglicher Schwierigkeiten nach der Selbstverwaltung strebt.
Die Folgen davon sind in jedem Fall unangenehm für beide Seiten. Die sozialpolitischen und
wirtschaftlichen Probleme können zwar durch Verhandlungen zufriedenstellend gelöst
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