Silberband 008 - Festung Atlantis
stehen und betrachtete den Arkoniden, der bewegungs- und scheinbar leblos vor
ihnen stand. Die Augen waren halb geöffnet, und man wußte nicht, ob die Lider nach oben oder nach
unten strebten.
Ragow tippte dem Arkoniden mit der Spitze seines Zeigefingers gegen die Backe. Bis die
Körperwärme des lebendigen Körpers gegen die Gefühlsnerven Ragows stieß, würde eine halbe Stunde
vergehen.
Die starre Maske zeigte weder Furcht noch Schmerz, dazu war noch keine Zeit gewesen.
Vielleicht in fünfzig Stunden, dachte Rous voller Grauen, würde der Arkonide bemerken, was mit
ihm geschehen war.
»Er kann uns nicht sehen«, sagte Rous und nickte Ragow zu. »Wir sind zu schnell für ihn.
Wollte er uns sichtbar für seine Welt machen, müßte er uns mit einer Kamera filmen, die mehr als
eine Million Bilder in der Sekunde belichtet. Wir sind für ihn wesentlich schneller als für uns
das rasanteste Geschoß. Wir müßten dieses Denkmal mit Zeitraffer aufnehmen – sechzehn Bilder
in zwanzig Stunden. Wenn der Film dann mit normaler Geschwindigkeit vorgeführt wird –
sechzehn Bilder pro Sekunde –, würden wir den Arkoniden so erleben, wie er wirklich
ist.«
Steiner deutete auf den halb geöffneten Mund des Offiziers. »Gilt das auch für den akustischen
Effekt?«
»Selbstverständlich.« Rous begriff sofort, worauf der Physiker hinaus wollte. »Die
Schallwellen werden für unsere Begriffe auch verlangsamt. Wenn wir gleiche Naturgesetze wie bei
uns voraussetzen, müßte sich also hier der Schall mit einer Stundengeschwindigkeit von knapp
siebzehn Metern voranbewegen. Nicht die Schallwellen, die von uns erzeugt werden, die sind
anderen Gesetzen unterworfen. Die Schallgeschwindigkeit beträgt also in dieser Dimension für uns fünf Millimeter. Vielleicht begreifen Sie jetzt, wie schnell wir uns bewegen.«
»Durchbrechen wir die Schallmauer«, sagte Harras, der praktische Typ, und setzte sich zögernd
in Bewegung. Sein Gesicht verzog sich zu einer fragenden Grimasse, als er den Widerstand der Luft
spürte, die nur widerwillig beiseite zu weichen schien.
Sie näherten sich allmählich der schwarzen Wand. Genau im Zentrum des so abgesperrten Gebietes
schimmerte fahl und doch deutlich sichtbar das Lichtfenster, durch das die sechs Männer in das
unwirkliche Reich der anderen Zeitdimension eingedrungen waren. Der Durchmesser des Kreises
mochte zweieinhalb Meter betragen.
Rous fand Zeit, zum Himmel emporzuschauen. Die Wolkenformation hatte keinerlei Veränderung
erfahren, und es würde noch Tage dauern, ehe die bereits fallenden Regentropfen die Oberfläche
des unheimlichen Planeten erreichten. Erdentage natürlich. Wie lange hier in dieser Zeitlosigkeit
ein Planetentag dauern würde, war nicht abzuschätzen. Drehte sich diese Welt in vierundzwanzig
Terra-Stunden einmal um ihre eigene Achse, würde die Sonne etwa einhundert Jahre am Himmel
stehen. Hundert Jahre würde es dauern, ehe sie nach ihrem Aufgang im Osten bis zum westlichen
Horizont gewandert und versunken war.
Der Tag würde zweihundert Jahre dauern …
Rous schwindelte, als er daran dachte.
Der Himmel war leicht rötlich gefärbt, mit einem fahlen, grünlichen Unterton. Die Sonne war
hinter den Wolken verborgen, und es konnte unter den gegebenen Umständen Jahre dauern, ehe sie
daraus wieder zum Vorschein kam.
Plötzlich begriff Rous.
Ehe er seine neue Berechnung aber den anderen mitteilen konnte, standen diese vor einer neuen
Entdeckung. Ein Fluß trennte sie noch von der schwarzen Mauer, die wenige hundert Meter vor ihnen
die Landschaft durchzog.
Die von dem unfühlbaren Sturm gepeitschte Wasseroberfläche war mitten in ihrer Bewegung
erstarrt, aber man konnte deutlich die Windrichtung erkennen. Als sei der Fluß plötzlich
gefroren, so sah es aus. Einzelne Spritzer hingen bewegungslos in der Luft. Es konnte Stunden
dauern, ehe sie sich wieder mit dem Wasser vereinigten.
»Wie sollen wir denn da auf die andere Seite kommen?« fragte Harras enttäuscht. »Das ist ja
der materialisierte Zeitstrom.«
»Unsinn«, entgegnete Rous und ließ sich von dem Problem ablenken, über das er so intensiv
nachgedacht hatte. »Gehen Sie nur hinter mir her.«
Er schritt weiter, als sei kein Fluß vorhanden. Sein Fuß berührte die erstarrte Oberfläche des
Wassers und fand Halt. Ehe die anderen Männer so recht begriffen, was sie mit ihren eigenen Augen
sahen, war Rous mitten auf dem Fluß und ging weiter, als befände er sich auf
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