Silberband 009 - Das rote Universum
ihn aus den Händen der Druuf befreit hatte.
Vor dem Fahrzeug jedoch empfand Nathan geheime Angst. Bisweilen wurde sie so stark, daß
körperliche Schmerzen daraus entstanden. Nathans Volk kannte keinerlei Technologie. Wenn sie sich
bewegen wollten, benutzten sie die Kräfte des eigenen Körpers oder sandten ihren Geist aus, falls
persönliche Anwesenheit nicht erforderlich war. Sie waren ein anspruchsloses Volk, das die
wichtigste Aufgabe des Lebens darin sah, nachzudenken und mit den Kräften der Gedanken zu
spielen. Nathan hatte noch niemals zuvor ein so gigantisches Ding gesehen, wie dieses Raumschiff
es war.
Sein Freund, der Fremde, hatte ihn gebeten, zu dem Raum des großen Schiffes zu kommen, den er
den Kommandostand nannte. Eine Menge anderer Fremder wollten dabeisein und zusehen, wie sein
Geist den Körper verließ und davonschwebte. Sein Freund hatte ihm erklärt, daß er versuchen
solle, eine Welt zu erreichen, die irgendwo vor dem Schiff unsichtbar im Raum schwebte. Unter
normalen Umständen hätte Nathan diese Bitte selbstverständlich abgelehnt. Die unsichtbare Welt
interessierte ihn nicht. Warum hätte er versuchen sollen, sie zu erreichen und zu betrachten?
Aber der Fremde war sein Freund, und die Bitte eines Freundes wies man nicht zurück.
Die großen Platten, mit denen die Fremden ihre Räume verschlossen, wichen zurück, als Nathan
vor dem Kommandostand anlangte. Er sah seinen Freund am anderen Ende des großen Raumes stehen und
ihm zuwinken. Er sah noch eine Menge anderer Fremder, die rings um seinen Freund standen.
Nathan bewegte sich bis in die Mitte des Raumes und blieb dort liegen. Er hatte mit seinem
Freund alles Nötige besprochen. Es gab nichts mehr zu sagen. Nathan entspannte den mächtigen
Körper und begann, den Geist aus der materiellen Umhüllung zu lösen.
Er selbst spürte dabei nichts. Schließlich war das, womit er dachte, empfand und sich
ausdrückte, ebenfalls sein Geist. Der Körper war an nichts anderem als rein mechanischen und
chemischen Dingen beteiligt. Diesen Körper ließ er nun zurück und erhob sich über ihn. Er
wußte – schließlich hatte er den gleichen Vorgang bei seinen Artgenossen schon oft
beobachtet –, daß er nun als nebelförmiges, konturloses Gebilde schwach zu erkennen war. Er
konzentrierte sich auf seinen Freund und nahm mit der ihm eigenen Nachahmungsgabe dessen Gestalt
an. Zuerst war sie klein, kaum einen Fuß hoch, und infolge der komprimierten Wirkung sehr
deutlich zu sehen. Dann wuchs er und wurde dabei durchsichtiger. Er sah sich um und entdeckte die
Verblüffung auf den Gesichtern der anderen Fremden, als er einen Kopf formte, der dem seines
Freundes glich, wenn er sich auch nicht die Zeit ließ, jeden einzelnen Zug des Gesichtes
nachzuahmen.
Dann machte er sich auf den Weg zu jener unsichtbaren Welt, die irgendwo dort draußen in der
Schwärze des Weltraums schwebte.
»Eine der eigenartigsten Lebensformen, die man je gesehen hat«, sagte jemand, als
Nathan gegangen war und nur noch sein mächtiger Leib reglos mitten im Kommandostand lag.
»Nicht ganz so eigenartig, wie man zunächst vermuten sollte«, wandte Rhodan sofort ein.
»Merkwürdig ist ohne Zweifel die Fähigkeit, Geist und Körper zu trennen. Aber das, was uns so
frappierend an die Gespensterfurcht unserer Kindheit erinnert, findet wahrscheinlich eine ganz
natürliche Erklärung.«
Sie sahen ihn gespannt an.
»Natürlich ist der Geist ein immaterielles Gebilde«, fuhr Rhodan bereitwillig fort. »Was Sie
als Nebel beobachtet haben, ist keineswegs ein Gas, falls Sie das geglaubt haben sollten. Der
Geist selbst ist nichts weiter als ein Feld, über dessen Natur wir zunächst noch nichts wissen,
allerdings ein Feld mit angeborener Intelligenz. Was wir sehen, ist lediglich die Wirkung, die
dieses Feld auf seine Umgebung hervorruft. Es scheint da Kräfte zu geben, die den Brechungsindex
zum Beispiel der Luft verändern. Dadurch wird das Gebilde sichtbar. Frappierend ist jedoch die
Fähigkeit des Feldes, sich an Gegenständen seiner Umgebung zu spiegeln, ja, sich sogar mit ihnen
zu identifizieren. Sie haben beobachtet, wie Nathan meine Gestalt annahm und das Gesicht dem
meinen nachzubilden suchte. Ich bin überzeugt, er würde es darin zu einer Meisterschaft bringen,
wenn er sich jemals genug Zeit dazu nähme. Fragen Sie nicht, wie der Arkonide und ich erschrocken
waren, als zum erstenmal ein Solitude-Geist vor unseren Augen
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