Silberband 010 - Thora
Welt.
»Thomas«, sagte sie, »Thomas, ich komme zu dir.«
Rusuf war ein erdähnlicher Planet und eine alte arkonidische Siedlung. Mit 1,42 lag
die Schwerkraft im Grenzbereich des für Menschen auf Dauer Erträglichen. Dennoch hatte sie im
Lauf vieler Generationen vermocht, die auf Rusuf heimisch gewordenen Arkoniden körperlich der
neuen Umgebung anzupassen und ihnen neben einem starken Knochengerüst und ausgeprägtem
Muskel-Skelett einen Brustkorb zu geben, der den Kolonisten trotz ihrer Größe etwas Unförmiges
verlieh.
Das Krela-System mit Rusuf, seinem vierten Planeten, lag weit genug von Arkon entfernt, um
nicht von den auf der dreifachen Mutterwelt herrschenden Degenerationserscheinungen infiziert zu
werden. Nach wie vor waren diese Arkoniden ein stolzes, leicht überhebliches, aber auch ein von
Energie strotzendes Volk geblieben.
Mit einer Großzügigkeit, die man nur in vielen Jahrtausenden lernen kann, hatten sie geduldet,
daß auch Galaktische Händler auf ihrer Welt Niederlassungen bauten, aber sie hatten nie
zugelassen, daß sich die Springer mehr Rechte herausnahmen, als vertraglich festgelegt worden
waren.
Sie hatten auch nicht protestiert, als terranische Raumschiffe landeten. Sie sahen gelassen
zu, wie Terraner fünfundvierzig Kilometer von Gelgen, der kleinen Arkon-Stadt, entfernt, in der
sie selbst die größte Niederlassung unterhielten, ihre Garnison und einen Raumhafen anlegten.
An diese Einzelheiten erinnerte sich Thora unmittelbar vor ihrer Landung auf Rusuf.
Gekonnt setzte sie die Space-Jet auf. Sie desaktivierte die Schutzfelder, ließ die
Hauptschleuse sich öffnen und die Rampe ausfahren. Als das Kontrollsignal ihr bestätigte, daß der
Weg nach draußen für sie frei war, schaltete sie im Schiff alles auf Null.
Doch sie erhob sich noch nicht. Blicklos starrte sie auf die Instrumente. Ihr geistiges Auge
sah einen jungen Mann – Thomas. Noch heute würde sie ihm gegenüberstehen, aber nicht mehr
als Frau des Administrators des Solaren Imperiums, sondern als Mutter.
Sie wußte nicht, wie schön sie mit dem mütterlichen Lächeln auf dem Gesicht wirkte. Dieses
Lächeln blieb auch, als sie am Fuß der Rampe Julian Tifflor erkannte. Ja, sie freute sich, ihn
wiederzusehen.
Thora nahm einfach seine Hand und sagte mit entwaffnender Herzlichkeit: »Tiff, wie freue ich
mich, daß Sie mir als erster auf Rusuf begegnen.«
Und Oberst Julian Tifflor, der mittlerweile achtzig Jahre alt war und trotzdem noch immer wie
ein junger Mann in der Blüte seines Lebens wirkte, wurde rot. Er hatte gefühlt, daß Thoras
impulsive Begrüßung aus ehrlichem Herzen kam, und er hatte zugleich erkannt, wie schwer die
Aufgabe war, die Rhodan ihm übertragen hatte.
Für den Fall, daß Thora ihrem Sohn folgen sollte, hatte Rhodan Tifflor freie Hand gelassen.
Rhodan schien geahnt zu haben, daß Thora auf Rusuf auftauchen würde. Tiff spürte die Schwere der
Verantwortung. Er war entschlossen, ein Treffen zwischen Thora und Cardif so lange zu verhindern,
bis Rhodan zur Erde zurückkam und informiert werden konnte.
Als sie im Wagen zur Garnison fuhren, plauderten sie über alltägliche Dinge, bis Tifflor sich
entschuldigte, im Hotel für Thora noch kein Appartement reserviert zu haben. »Wir sind auf Ihren
Besuch hier nicht eingerichtet, Thora.«
»Ach, Tiff«, lachte sie. »Ich brauche ein Zimmer, mehr nicht. Gibt es in der Garnison keine
Möglichkeit, mir ein Zimmer einzurichten?«
Mit erstaunlicher Bereitwilligkeit bejahte Tifflor ihre Frage. Er verstieg sich sogar zu der
Behauptung, das Wohnen in der Garnison sei angenehmer als im Hotel.
Zu jeder anderen Zeit hätte Thora den Oberst mißtrauisch gemustert und kühl gefragt, was er
mit seiner Offerte beabsichtigte, aber jetzt war sie nur Mutter, die gekommen war, um sich ihrem
Sohn zu offenbaren.
Der Wagen hielt vor dem schmucklosen Zweckbau, in dem die Garnisonsverwaltung untergebracht
war. Tifflor reichte Thora die Hand beim Aussteigen. Hinter der Wache passierten sie den langen
Gang, verließen ihn, um einen großräumig angelegten Park zu betreten, an dessen Ende ein Bungalow
lag.
Eine Stunde später klopfte Tifflor bei Thora höflich an. Ihre Stimme jubelte, als sie rief:
»Tiff, wenn Sie es sind – bitte!«
Frisch, jugendlich und mit einem Leuchten in den Augen stand Thora am Fenster und sah den
Freund eintreten.
Während Julian Tifflor ihr gegenüber Platz nahm, musterte sie ihn scharf. Sein strenges
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