Silberband 025 - Brennpunkt Andro-Beta
und bewies damit, daß er nicht nur
Kim, sondern auch Hess einwandfrei verstehen konnte.
Kim schwieg. Auch Hess hatte nichts mehr zu sagen.
»Ihr täuscht euch, Freunde«, kamen die fremden Gedanken nach einer Pause. »Es gibt keinen
Grund zur Niedergeschlagenheit.«
Kim fühlte Hoffnung in sich aufsteigen. Die Impulse des dritten der merkwürdigen Brüder
wirkten auf sonderbare Weise freundlich und vertrauenerweckend.
»Wie meinst du das?« fragte Kim.
»Ich beobachte euch schon die ganze Zeit«, erklärte der Außenposten. »Vieles von dem, was ihr
dachtet, konnte ich verstehen. Ich kenne euren Plan, und ich muß sagen, daß er mir sehr
gefällt.«
Hastig sagte Hess:
»Paß auf, Kim. Er baut eine Falle. Glaube ihm kein Wort! Diese Geschöpfe haben einen makabren
Sinn für Humor …«
»Halt den Mund!« wies ihn Kim zurecht.
Der Außenposten amüsierte sich.
»Ich verstehe euer Mißtrauen«, ließ er sie hören. »Vielleicht legt es sich, wenn ihr meine
Geschichte kennt – oder vielmehr die Geschichte dieses Himmelskörpers, der einst ein
mächtiges Wesen war. Ihr habt nichts anderes zu tun, als zu warten. Wollt ihr mir zuhören?«
Kim stimmte zu, und der Außenposten erzählte seine Geschichte – die erstaunlichste
Geschichte, die Kim Dosenthal jemals gehört hatte.
Vor rund zehntausend Jahren hatte der Moby, auf dessen Rücken sie standen, seine Kräfte unter
den unablässigen Angriffen seiner Feinde, der Bio-Parasiten, erlahmen gespürt. Er erkannte
instinktiv, daß nach seinem Tod die Parasiten nichts Eiligeres zu tun haben würden, als die
besonders energiereiche Materie seines kristallinen Gehirns umzuwandeln und zu verzehren. Das
letzte, was er tat, war, die weißen, eisbergähnlichen Zentren seines Bewußtseins, die sich auf
seiner Oberfläche befanden, mit einem Schutzschirm zu umgeben, der aus gewissen unversiegbaren
Energiequellen auch nach seinem Tode noch gespeist werden würde. Lange genug wenigstens, um den
Parasiten klarzumachen, daß sie hier in absehbarer Zeit nichts zu gewinnen hätten.
Was ursprünglich nur eine Instinktreaktion des sterbenden Mobys gewesen war – denn er
hatte keine Möglichkeit, die Folgen seiner Handlung vorauszusehen –, erwies sich im Laufe
der folgenden Jahrhunderte als der Zündfunke zu einem Vorgang, der die drei unsichtbaren Brüder
entstehen ließ.
Die Gehirnmasse des Mobys war zu neunzig Prozent in drei bergähnlichen Formationen vereinigt.
Die restlichen zehn Prozent bedeckten das ebene Gelände zwischen den Füßen der Berge mit einer
dünnen Schicht. Dieser Konzentration von Bewußtseinsgehalt an drei verschiedenen Orten verdankten
die drei Brüder ihre Entstehung. Unter dem Schutzschirm erwachten sie zu eigenem Bewußtsein. Die
Verbindungen, die früher zwischen den drei Bergen aus Gehirnmaterie bestanden hatten, waren
zerfallen, ebenso viele der Körpermechanismen, die der alte Moby gebraucht hatte, um sich am
Leben zu erhalten. Die drei Brüder entstanden als getrennte Individuen. In jedem von ihnen lebte
ein Bruchteil der Erinnerung des toten Mobys. Der eine wußte, wie die Nahrungsaufnahme- und
Verdauungsorgane funktionierten. Der andere wußte, auf welche Weise man den Weltraum am
erfolgreichsten nach Nahrung absuchte, und der dritte beherrschte zwar keinerlei nützliche
Fähigkeit, war jedoch Herr über die gesamte, nichtzweckgebundene Erinnerung des Mobys, das heißt,
er besaß das geistige Potential, das den Moby zu einem eigentlich intelligenten Wesen gemacht
hätte, hätte er es weiter ausbauen können.
Auf diese Weise entstanden der Hungrige, der Außenposten und der Wißbegierige. Der Hungrige
verfügte über dreißig Prozent der ursprünglichen Gehirnmasse, aber das meiste davon war reines
Funktionsgehirn. Der Außenposten besaß rund vierzig Prozent, wovon etwa die Hälfte rein
funktionalen Zwecken diente. Der Wissensdurstige hatte zwanzig Prozent des ursprünglichen Gehirns
abbekommen, aber zum Ausgleich war jedes Gramm seiner Gehirnmaterie zu freiem Denken befähigt. Er
entstand als der intelligenteste der drei Brüder und mehrte seine Klugheit, indem er alles, was
durch den starren, weit geöffneten Rachen des toten Mobys hereingeflogen kam, einer sorgfältigen
Untersuchung unterzog, bevor er es dem Hungrigen überließ. Einmal alle fünfzig oder sechzig Jahre
ereignete es sich, daß ein von intelligenten Wesen gelenktes Raumschiff in den Moby-Körper
einflog und die Besatzungen sich
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