Silberband 028 - Lemuria
bereits zu spät. Schüsse flammten auf, und instinktiv
riß Shelton seine Waffe hoch und drückte ab.
Er sah noch, wie der Abwehrschirm eines seiner Gegner zusammenbrach und der Lemurer in einer
Glutwolke verschwand. Danach wurde sein eigener Individualschirm in lohendes Atomfeuer gehüllt.
Das schützende Feld bewahrte ihn zwar vor der Vernichtung, aber es erhitzte sich so stark, daß
Shelton, der mit offener Helmkapuze geflogen war, einen betäubenden Schock erlitt. Antriebs- und
steuerlos trieb seine Sphäre davon, überschlug sich langsam und blieb zwischen den Wipfeln junger
Tannen stecken.
Pierre Messier und Aino Uwanok erging es nicht besser.
Als John C. Shelton wieder zu sich kam und die Augen einen Spalt weit öffnete, sah er den ewig
dunstigen Glast des Taghimmels über sich. Vor ihm hockte die schlanke Gestalt eines lemurischen
Soldaten. Unter ihm sang unverkennbar der Generator eines Antigravgleiters.
Während Shelton die Ereignisse zurückrief, die zu seiner Gefangennahme geführt hatten, kehrte
der Schmerz zurück. Das Gesicht brannte, als hielte es jemand über eine offene Flamme. Aber er
vermochte klar zu denken und seine Glieder zu bewegen – soweit es die Fesselung zuließ.
Folglich konnten seine Verletzungen nicht allzu schwer sein.
Er fragte sich, wo der Roboter Log in den kritischen Sekunden gesteckt haben mochte. Der
Psi-Roboter hätte mit Erfolg eingreifen können, und Shelton verstand nicht, warum er es
unterlassen hatte.
Derlei trübe Gedanken beschäftigten ihn jedoch nicht lange. Nicht ohne tieferen Grund nannte
man ihn den ›Eisberg‹. Auch in dieser Situation brachte er es fertig, seine Gedanken sehr schnell
auf das einzig Wesentliche zu konzentrieren: Wie er sich und seine Gefährten befreien und seinen
Auftrag doch noch ausführen könnte. Im Augenblick sah er allerdings keine Möglichkeit dazu. Er
war gefesselt, und zweifellos hatten die Lemurer ihm sämtliche Waffen und Geräte, einschließlich
seines Kampfanzuges, weggenommen.
Als der Gleiter mit sanftem Ruck anhielt, waren Sheltons Sinne hellwach. Er bemühte sich,
alles zu hören und zu sehen, was für Augen und Ohren irgendwie zugänglich war.
Rauhe Stimmen ertönten und erteilten Befehle in Tefroda, der Ursprache der Menschheit. Sie
besagten allerdings nur, man solle die Gefangenen zum Verhör bringen.
Shelton fühlte sich unsanft hochgerissen. Jemand schlug ihm die flache Hand mehrmals ins
Gesicht. Wütend schaute er sein Gegenüber an. Doch der Soldat lachte nur gutmütig.
»Ausgeschlafen, eh?«
Die Frage wurde ebenfalls in Tefroda vorgebracht.
Der Soldat löste seine Fußfesseln. Unwillkürlich spannte der erfahrene Offizier die Muskeln
an. Falls niemand zusah …!
Es sah jemand zu!
Aus den Augenwinkeln heraus erkannte er zwei Lemurer hinter sich stehend, mit den Waffen im
Anschlag. Diese Leute waren zu schlau, um auf die plumpe Tour überlistet zu werden.
Von rechts wurden Messier und Uwanok herbeigeführt. Messiers Gesicht war gerötet, dort, wo
sich einmal die Augenbrauen befunden hatten, sah man nur noch schwarze Striche. Das Haupthaar war
ebenfalls versengt, und an der Kinnlade trat das rohe Fleisch hervor. Der Eskimo sah noch etwas
schlimmer zugerichtet aus. Im Gegensatz zu dem Marsianer jedoch zeigte er nichts, was auf den
Schmerz hinwies. Im Gegenteil: Aino grinste ironisch.
Oberst Shelton wandte sich um, als er einen heftigen Stoß in den Rücken erhielt.
»Vorwärts!« befahl einer der Bewacher.
Er tat einen Schritt in Richtung des würfelförmigen Gebäudes, vor dem der Transportgleiter
hielt – und dann stockte sein Fuß.
Neben dem offenen Eingang stand – Log, der Roboter!
Shelton fühlte eine Welle heißen Zorns in sich aufsteigen, als er sah, daß Log von den
Lemurern nicht beachtet wurde. Das konnte doch nur bedeuten, daß er mit ihnen zusammenarbeitete,
oder …?
»Oder!« sagte Log bestimmt.
Verwundert registrierte der Oberst die völlige Gleichgültigkeit der feindlichen Soldaten dem
Roboter gegenüber. Log war zwar nur ein Zwerg von einer Maschine, doch selbst ein Zwerg konnte
nicht auf die Dauer übersehen werden!
»Stimmt!« bestätigte Log ungerührt und ohne seine Stimme zu dämpfen. Wieder einmal kicherte er
auf seine aufreizende Art. »Das Auge sieht mich, aber das Gehirn weigert sich, mich als
existierende Realität anzuerkennen. Schon mal etwas von psychischer Unsichtbarkeit
gehört …?«
John C. Shelton begriff. Ein guter
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