Silberband 028 - Lemuria
könnten jetzt, da die Sicherheitsanlagen vorübergehend keinen Strom bekommen,
hinausgehen und uns M'adun näher ansehen. Vielleicht finden wir etwas, das uns bei unserem
Problem weiterhilft.«
»Du hast es erfaßt, Terraner!« Log kicherte wieder einmal.
Aino Uwanok warf sich seinen lebenden Umhang um. Dieses Tier oder diese Pflanze war wieder
friedlich geworden, seitdem der Captain auf die Behandlung mit Nadel und Faden verzichtet
hatte.
Er öffnete das nach innen schwingende Luk und sprang hinaus.
Alles blieb ruhig. Aino öffnete den Umhang vorn und schaltete die Brustlampe ein. Ein bleicher
Lichtkegel huschte über den Boden der Montagehalle oder was immer es auch war, verharrte auf
erstarrten Robotmaschinen, blieb kurz an einem hufeisenförmigen Schaltpult hängen und glitt über
erloschene Fernsehaugen.
»Dort drüben!« rief Shelton, der neben den Captain getreten war, und seine Stimme klang
seltsam hohl in der Halle, »das scheint eine Luftschleuse zu sein. Gehen wir dorthin!«
»Ich würde zuvor den Helm verschließen«, riet der Psi-Roboter. »Die Explosion des Kraftwerkes
hat selbstverständlich ein großes Loch in die Kuppel der Stadt gerissen. Wahrscheinlich gibt es
einen Notmechanismus, der es provisorisch abdichtet, aber darauf würde ich mich nicht
verlassen.«
Die Männer zogen ihre zusammengefalteten Kapuzenhelme aus den Umhängen und verschlossen sie.
Sobald der Schließkontakt hergestellt war, wölbten sich die schlaffen Gebilde auf und wurden
durch einen elektronischen Vorgang hart wie Terkonitstahl.
Messier lief nach vorn und fand den Öffnungsmechanismus des Schotts. Wie erwartet,
funktionierte er nicht mehr. Der Stromausfall hatte die Anlage lahmgelegt. Aber wie überall bei
ähnlichen Bauwerken gab es auch hier ein Handrad, mit dem sich das Schott mechanisch öffnen
ließ.
Nach einer Minute standen die Männer des Sonderkommandos Lemur in der engen Luftschleuse.
Uwanok betätigte die Handpumpe. Es war dies eine etwas beschwerliche Art und Weise, eine Schleuse
luftleer zu pumpen, doch andernfalls hätte sich das Außenschott niemals geöffnet.
Endlich war es soweit. Das Tor zur Außenwelt glitt auf – und die Offiziere schlossen
geblendet die Augen.
Das Regenmeer lag im vollen Sonnenlicht des Mondmittags. Die Stadt M'adun schien nur aus
grellweißen und tiefschwarzen Flächen, Strichen und bizarren geometrischen Figuren zu bestehen.
Weit im Hintergrund ragte die ›Lange Wand‹ auf, ein merkwürdiger, sehr regelmäßiger Bergzug von
65 Kilometern Länge und nicht ganz 2.000 Metern Höhe im Mare Imbrium.
Im Norden der Stadt M'adun stand bläuliches Feuer. Dort mußte das Hauptkraftwerk gewesen sein.
Von den kastenförmigen Häusern hingen verdorrte Gebilde herab: die Hängenden Gärten, die durch
den plötzlichen Vakuumeinbruch und den Ausfall des Filterdaches in Augenblicksschnelle gestorben
waren. Aber es gab noch unzählige flache, goldglänzende Kuppelbauten. Unter dem Sonnenfilter
jener Kuppeln würden die lebenswichtigen Obst- und Gemüsepflanzungen überdauert haben. M'adun war
nicht zum Tode verurteilt.
»Die Bewohner der Stadt haben so gut wie keine Verluste erlitten«, berichtete Log. »Jeder
Lunarier ist verpflichtet, nur mit einem leichten Druckanzug aus den hermetisch abgedichteten
Häusern zu gehen. Wer nicht in der Explosion direkt umkam, überlebte.«
Der Psi-Roboter steuerte auf eine winzige, schwarze Kuppel zu.
»Der Eingang zu den sublunaren Laboratorien.«
John C. Shelton drängte sich ungeduldig vor. Er war entschlossen, die augenblickliche Notlage
der Lunarier auszunutzen und das Zeitauge so rasch wie möglich in ein brauchbares Raumfahrzeug zu
verwandeln.
Ein Warnschrei Logs riß ihn zurück.
Der Robot deutete auf eine der breiten Straßen aus Glasfaserbeton.
Die Männer erstarrten.
Auf der Straße näherte sich, infolge des herrschenden Vakuums völlig lautlos, eine dicht
aufgeschlossene Formation großer Kettenfahrzeuge. Drohend ragten die Spiralläufe schwerer
Impulskanonen aus den flachen Türmen. Und zwischen, neben und hinter den Panzerfahrzeugen
stürmten Hunderte von Kampfrobotern heran.
»Zurück!« brüllte Shelton. »In das Zeitauge!«
Die ersten Strahlschüsse rissen die meterdicke Wand der Montagehalle auseinander
und knüllten die Trümmer zusammen, als bestünden sie aus dünnem Stanniolpapier. Offensichtlich
waren die Lunarier entschlossen, ihr Zeitauge lieber zu vernichten, als es in fremde
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