Silberband 069 - Die Hyperseuche
verzweifelt nach einem Ausweg, aber er fand keinen. Eysbert wußte, was er in diesem Augenblick auch tat, es wäre das Falsche. Er konnte nur dastehen und hoffen, daß Atlans Extrahirn wieder die Oberhand gewann.
Seine Rettung kam in völlig unerwarteter Form.
Die Alarmsirene heulte auf, und die monotone Robotstimme verkündete: »Alarm an alle Stationen. Tausende von Raumschiffen sind aus dem Linearraum aufgetaucht und nähern sich in geschlossener Formation dem Solsystem.«
Atlan war plötzlich wie verändert.
»Gefahr!« sagte er mit einer Stimme, als erwache er gerade aus einem Traum. »Tausende Raumschiffe sind im Anflug! Entschuldigen Sie, Professor, wenn ich die Sitzung unterbreche. Aber ich muß in die Kommandozentrale!«
Eysbert atmete auf. Der Alarm war gerade im richtigen Moment gegeben worden. Aber abgesehen davon – es war äußerst beunruhigend, daß sich einige tausend Raumschiffe der Erde näherten.
Der Kosmopsychologe ahnte, daß die Entwicklung nun in jene unheilvolle Phase getreten war, die ihnen NATHAN für die nächste Zukunft prophezeit hatte: All die Menschen, die in den eineinhalb Jahrtausenden über die ganze Galaxis ausgeschwärmt waren, verspürten nun den Wunsch, in ihre Heimat zurückzukehren.
Sildona Montez blieb noch einmal stehen und blickte zurück. Abraham Town lag wie eine Spielzeugstadt zwischen den saftig grünen Hügeln eingebettet; durch die Gassen und Straßen zogen die Schwaden des Morgennebels. Die Hügelkette reichte bis zum Horizont. Zeta Brahama, die Sonne, die ihr von Geburt an Licht gespendet hatte, ging gerade als glutroter Ball auf. Hinter den Hügeln lagen die endlosen Kornfelder – noch gestern Symbol ihrer Zukunft, aber schon heute verlassen, nur noch von vorprogrammierten Robotern betreut.
»Wofür geben wir das alles auf?« fragte Sildona Montez ihren Mann, der ihr den Arm um die Schultern legte und sie fest an sich preßte. An ihren Schenkeln spürte sie den Druck ihrer beiden Kinder Burt und Effie, zehn und sieben Jahre alt, die sich an ihrem Kleid festklammerten, um in dem Gedränge nicht verlorenzugehen.
»Blick nicht zurück, Sildi«, sagte ihr Mann Dion. »Vielleicht kehren wir eines Tages hierher zurück. Das wird die Zukunft weisen. Aber jetzt fliegen wir in unsere wahre Heimat!«
»Nicht stehenbleiben!« rief jemand von unten. »Weitergehen, los, marsch, marsch! Wir können uns keine Verzögerungen erlauben, denn wir wollen pünktlich starten. Die anderen wollen auch noch alle an Bord!«
Die Montez-Familie wurde über die Rampe durch die große Verladeschleuse in den Bauch des Raumschiffs gedrängt.
Die CALDERON war ein 800 Meter durchmessender Frachtraumer, der diesmal allerdings ausschließlich menschliche Fracht beförderte; achttausend Pioniere von Abraham IV mußten an Bord untergebracht werden. Das hieß, daß sich die Menschen auf engstem Raum zusammenpressen mußten. Aber sie würden diese Strapazen nur für wenige Tage auf sich nehmen. Nach 96 Stunden Flugdauer würden sie am Ziel sein.
»He, Sie da!« rief einer der Schiffsoffiziere einen alten Mann an, der sich mit einem riesigen Schrankkoffer abmühte. »Haben Sie nicht gehört, daß jeder nur seine wichtigste Habe mitnehmen darf?«
»Aber in dem Koffer ist nichts, von dem ich mich trennen könnte«, beteuerte der alte Mann.
»Wenn Sie sich davon nicht trennen können, müssen Sie mit Ihrem Kram auf Abraham zurückbleiben«, sagte der Schiffsoffizier. »Wofür entscheiden Sie sich also?«
»Ich muß noch einmal die Heimat der Menschen wiedersehen«, sagte der alte Mann und trennte sich von seinem Koffer.
Ein kleiner Junge begann zu schluchzen, als man ihm seinen Hund wegnahm. Seine Eltern versuchten ihm zu erklären, daß der Hund eine zusätzliche Belastung sei und den Passagieren Nahrung und Sauerstoff wegnehmen würde. Aber das verstand der Junge nicht. Als man ihm jedoch klarmachte, daß auch er auf der Pionierwelt zurückbleiben müsse, wenn er sich nicht von seinem Hund trennen wolle, verzichtete er lieber auf ihn.
Diese Haltung war typisch für alle Pioniere, die an Bord der CALDERON gingen. Sie nahmen alle Strapazen auf sich, verzichteten auf alles, nur um zur Wiege der Menschheit zu gelangen.
Endlich war der letzte Pionier an Bord gekommen. Kein Mensch war mehr auf dem Frachtraumhafen zu sehen. Nur einige Haustiere streunten zwischen den Teleskopbeinen der zehn Kugelraumschiffe umher. Sie schnüffelten in den Bergen von Koffern, Körben und Ballen, die die
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