Silberband 070 - Gehirn in Fesseln
war, mit den Gedanken gegen das Gefangensein anzukämpfen, obwohl es wußte, daß es sehr lange brauchen würde, um alle seine Empfindungen zu kontrollieren.
Zu diesem Zeitpunkt empfand das Gehirn das Raunen als immer stärker, und es begann seine Aufmerksamkeit darauf zu konzentrieren.
Das Raunen wurde allmählich zu einem Gewisper. Es hörte sich an wie weit entfernte Stimmen.
Das Gehirn begann zu lauschen. Nach einiger Zeit konnte es einzelne Stimmen unterscheiden und verstehen. Das konnte nur bedeuten, daß an den Behälter, in dem es sich befand, eine Art Translatorgerät angeschlossen war.
Die Stimmen, die das Gehirn wahrnahm, konnten nur von den anderen Behältern kommen.
Die Konsequenz, die sich aus dieser Feststellung ergab, war phantastisch: Die Gehirne in den Behältern unterhielten sich miteinander. Ihre Gedanken wurden verstärkt und von Funksprechgeräten übertragen. Einer Technik, der es gelang, körperlose Gehirne am Leben zu erhalten, mußte es auch möglich sein, den Gehirnen untereinander eine Verständigungsmöglichkeit zu geben.
Das einsame Gehirn konzentrierte sich und lauschte. Es erlebte eine neue Überraschung. Zunächst war ihm fast alles unverständlich, was gesprochen wurde. Zwar verstand es die Worte, doch sie ergaben keinen Sinn. Alles war zu fremdartig, ein weiterer Beweis dafür, daß das Gehirn sich an einem den Menschen unbekannten Punkt des Universums befand.
Aus den Gesprächen der Gehirne war jedoch weder Furcht noch Verzweiflung herauszuhören.
Im Gegenteil: Überall herrschten Freude und eine gespannte Erwartung. Niemand schien gegen seinen augenblicklichen Zustand etwas einzuwenden zu haben.
Das Gehirn lauschte ungläubig. Es konnte nicht begreifen, daß diese Wesen glücklich waren. Der Verdacht, daß diese Gehirne manipuliert wurden, verstärkte sich in ihm. Bestimmt gab es Drogen oder paramechanische Impulse, mit deren Hilfe man den Gefangenen in den Behältern ein Glücksgefühl übermitteln konnte.
Doch, so überlegte das Gehirn, stand dazu sein eigener Zustand im Widerspruch.
Hatte man vergessen, ihn zu manipulieren? Unterschied sich sein Gehirn so sehr von den anderen, daß es nicht für das Glücksgefühl präpariert werden konnte?
Nein! dachte das Gehirn entschieden. Die Antwort war wesentlich einfacher. Die anderen Gehirne waren tatsächlich glücklich und zufrieden.
Das Gehirn faßte den kühnen Entschluß, an der Kommunikation teilzunehmen. Es mußte diesen Versuch wagen, denn es wollte endlich herausfinden, wo es sich befand und was in dieser Halle eigentlich geschah. Die Frage war nur, ob es sich an den Gesprächen beteiligen konnte. War sein Behälter an das Kommunikationssystem angeschlossen, oder besaß er nur ein Empfangsteil?
Die Gedanken des Gehirns formten eine Frage. Wo bin ich?
Das Gehirn wiederholte diese Frage mit immer größerer Anstrengung.
Die Antwort war Gelächter. Das Gehirn hatte den Eindruck, daß dieses Lachen von dem benachbarten Behälter ausging. Es war schwer zu entscheiden, woher es dieses Wissen bezog, aber es glaubte nicht, daß es sich täuschte.
Das Gehirn wollte sich zurückziehen, voller Furcht, daß man seine geheimsten Gedanken und Gefühle ergründen könnte. Alle anderen waren unvorstellbar fremd, sie würden wenig Verständnis für jemanden haben, der völlig anders war als sie.
Plötzlich empfing es eine Antwort. Sie war deutlich zu verstehen.
»Wir haben uns bereits gewundert, daß du so lange geschwiegen hast«, dachte das Gehirn im Behälter nebenan. »Natürlich wollten wir nicht in dich eindringen und Fragen stellen. Jeder Neuling muß von sich aus mit einem Gespräch beginnen.«
Trotz seiner Erleichterung, daß ihm die Kontaktaufnahme endlich gelungen war, zögerte das Gehirn. Sollte es dieses Gespräch fortsetzen?
Es wußte nicht, wer diese anderen waren, was sie in dieser Zustandsform erreichen wollten und welcher Lebensform sie angehörten. Doch der Wille, endlich die Wahrheit herauszufinden, behielt die Oberhand.
»Wie komme ich hierher?« fragte das Gehirn. »Was hat das alles zu bedeuten?«
Gelächter brandete auf. Es kam nicht nur vom Nachbargehirn, sondern von allen Regalen. Zehntausende von Gehirnen lachten über diese Fragen.
»Seid still!« bat der erste Gesprächspartner des Gehirns. »Er scheint tatsächlich nicht zu wissen, wo er sich befindet. Wir dürfen ihn nicht verwirren.«
»Er ist offensichtlich kein Bordin«, fing das Gehirn einen anderen Gedanken auf.
»Was ist ein
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