Silberband 070 - Gehirn in Fesseln
schienen und jetzt verzweifelt nach allen Richtungen ausschlugen. Dabei quollen die Augen vor Anstrengung fast aus ihren Höhlen, und Rhodan mußte unwillkürlich an einen Pekinesenhund denken, so verblüffend war die Ähnlichkeit des Gesichtsausdrucks.
Aber welche Rolle spielte das schon? Der Gefangene war ein Leidensgefährte, und er war ein Fremder. Ein Fremder aber konnte ein Freund sein.
Er wand sich vergeblich in den Armen des starken Roboters, dessen stählerne Arme ihn umschlossen hielten. Und er schrie.
Rhodan verlor keine Zeit mehr. Mit den kräftigen Armen des Bordins hob er die Stange und sprang mitten in den Saal hinein, und noch ehe der Roboter den neuen Gegner bemerken konnte, zertrümmerte das Podest seinen metallenen Schädel. Leitungen quollen sofort aus den Splittern, begannen zu schmoren und schlossen kurz. Blitze zuckten auf, Metall begann zu schmelzen und tropfte schwer auf den Boden. Dann zerriß eine kleinere Explosion den Körper des Roboters, der seinen Gefangenen sofort losließ und zur Seite taumelte, ehe er mit dumpfem Krachen auf den Boden stürzte und auseinanderbrach.
Niemand konnte wissen, ob es ihm in diesem Moment noch gelungen war, einen Alarmimpuls abzustrahlen.
Der befreite Gefangene war ebenfalls hingefallen, als ihn die Robotarme nicht mehr hielten. Keuchend lag er vor dem riesigen Körper des Bordins, von dem er nicht wissen konnte, ob er ein neuer Feind war oder nicht. Seine hervorquellenden Augen starrten Rhodan verzweifelt an. Kein Laut kam mehr über seine Lippen.
Aber dann, als er die neue Lage völlig begriffen hatte, rollte er sich plötzlich blitzschnell zur Seite, sprang auf und wollte davonrennen.
Rhodan hatte seine Absicht rechtzeitig erkannt. Mit einem Satz war er zur Stelle und packte den Roten.
»Nicht so hastig, Freundchen. Ich glaube, wir stecken alle beide in derselben Klemme. Wer bist du?«
Rhodan hob ihn hoch, so daß er direkt in sein Gesicht sehen konnte. Umgekehrt blickte der befreite Gefangene – oder der gefangene Befreite genau auf die Marke auf seiner Brust.
Mit seiner hellen Stimme sagte er: »Du jedenfalls bist ein entflohener Diener, sonst wärst du nicht im Tempel der klagenden Gehirne. Du bist T-te-Do 11.454, wenn ich noch richtig lesen kann. Vielen Dank für deine Hilfe. Würdest du mich nun loslassen?«
»Später«, vertröstete ihn Rhodan, setzte ihn aber mit den Füßen auf den Boden, ohne den Griff um den Hals zu lockern. »Du wirst mir bald verraten, wer du bist, aber zuvor möchte ich klarstellen, daß wir alle beide verloren sind, wenn wir uns nicht gegenseitig helfen. Ich glaube sicher, daß wir auf der gleichen Seite stehen. Wir sollten Vertrauen zueinander haben, meinst du nicht? Ich habe diesen Roboter zerstört, der dich gefangennahm. Ich hätte es sicherlich nicht getan, wärst du mein Feind. Nun?«
Der Rote hob seine langen und dürren Arme. Mit beiden sechsfingrigen Händen packte er die Hände Rhodans. »Ich sage kein Wort, wenn du mich nicht freigibst.«
Rhodan ließ los, blieb jedoch sprungbereit. »Gut, dann rede jetzt!«
Der seltsame kleine Kerl ging langsam bis zur Felswand und setzte sich auf den Boden. Er winkte Rhodan zu, seinem Beispiel zu folgen.
Dann sagte er: »Wir können vorerst hierbleiben, ich weiß es. Selten nur kommt einer der Roboter hierher, und solange diese Hallen nicht benötigt werden, bleiben sie unausgebaut. Ich bin der Rote Anatom, ein Händler. Mein Heimatplanet ist Poynko, aber ich halte mich dort nur selten auf. Und wer bist du?«
»Weißt du es denn nicht?«
»Du bist geflohen?«
»Ich bin auf der Flucht und verirrte mich in diesen Tempel, wo ich Sicherheit zu finden hoffte. Und du? Was suchst du hier?«
Während der Rote Anatom berichtete, erhielt Rhodan weitere Informationen aus dem Bewußtsein des Bordins, und so begann sich das Bild allmählich abzurunden, das er sich von seinem neuen Bundesgenossen machen konnte.
Der Rote Anatom war ein Schwarzhändler. Er belieferte die Wissenschaftler und Organbanken von Yaanzar mit biologischen Grundstoffen und gesunden Organteilen, ohne jemals Auskunft über deren Ursprung zu geben. Die Behörden duldeten seine anrüchige Tätigkeit, denn sie kam ihnen zugute. Ohne genügend Ersatz nützte auch die beste Transplantationstechnik nichts.
Der Rote Anatom konnte so ziemlich alles besorgen, was man sich vorstellen konnte, wenn man ihm genügend Zeit ließ und auch genug Geld bot. Auch ohne daß er es offen zugab, ahnte Rhodan, was der
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