Silberband 079 - Spur des Molkex
übermannen drohte. Doch schließlich war es geschafft. Das Schott glitt beiseite.
Er trat in einen nicht besonders großen, hell erleuchteten Raum. Die Medikamente ruhten in schubladenartigen Behältern, die von einer separaten Minipositronik gesteuert wurden. Thomas Kantenberg brauchte nur einzugeben, wonach er suchte. Er versah sich mit einem Vorrat, der einen weiteren Einbruch in den Lagerraum unnötig machte. Als er dabei war, einem der Behälter zwei Kapseln zu entnehmen, kam ihm in den Sinn, dass es besser sei, wenn er nicht so eindeutige Spuren hinterließ. Die Entwendung des Aufputschmittels wies direkt auf ihn. Wenn er außerdem noch ein paar andere Medikamente mitgehen ließ, dann würde es schwieriger sein, den Einbrecher zu identifizieren.
Wahllos öffnete er einige der Schubladen und nahm heraus, was ihm gerade ins Auge stach. Er warf einen letzten Blick ringsum, überzeugte sich, dass er alle Schubladen wieder ordnungsgemäß geschlossen hatte, und wandte sich dem Schott zu.
Er stockte mitten in der Bewegung und hatte ein Gefühl, als gefröre ihm das Blut in den Adern. Unter dem offenen Schott standen zwei Männer: Ebenezer Krohl und Paratü Hoplong.
Sie musterten ihn unfreundlich, und Krohl sagte schließlich: »Ich glaube, es ist an der Zeit, dass Sie uns eine Erklärung für Ihr merkwürdiges Verhalten geben, Kantenberg!«
Ich hatte ihn getäuscht.
Er wusste nicht, dass ich ihm eine Lüge aufgetischt hatte, und weil er es nicht wusste, verhielt er sich genau so, wie ich es haben wollte. Ich konnte ihm die Kontrolle über seinen Körper nicht streitig machen, während er schlief. Das menschliche Gehirn war kein Kommandostand, den man stürmen konnte, wenn die Wache gerade nicht aufpasste. Es musste eine Übergabe stattfinden. Sein Bewusstsein musste die Kontrolle an mich übergeben. Das konnte es im Zustand des Schlafes nicht tun, da es dann inaktiv war.
Freiwillig allerdings würde es auch im Wachzustand dies nicht tun. Man musste es zwingen, musste es überrumpeln. Deswegen hatte ich ihm das Märchen von der Gefahr erzählt, die im Schlaf auf ihn lauerte. Seit anderthalb Tagen fast hielt er sich mit Hilfe von Medikamenten wach. Bald würde er eine neue Dosis Aufputschmittel brauchen, um die nächsten Stunden zu überstehen. Sein Bewusstsein funktionierte nicht mehr richtig. Schon jetzt in diesem Augenblick war es zwar wach, aber so träge, dass ich es wahrscheinlich nur ein wenig anzustoßen brauchte, um die Kontrolle von ihm zu erhalten. Aber ich fasste mich noch ein wenig in Geduld. Kurz bevor er das Medikament zum nächsten Mal einnahm, würde ich vorstoßen. Es lag mir nichts daran, lange Zeit das dominierende Bewusstsein zu sein. Wenn ich es nur so lange schaffte, dass ich ihn dazu zwingen konnte, seinen Plan zu verraten.
Mein Vorhaben war nicht ungefährlich. Ich hatte sein Unterbewusstsein durchforscht, und dabei war mir etwas aufgefallen, wovon er selbst nichts wusste. Es gab in seinem Unterbewusstsein eine Art Sicherung. Ich konnte mir denken, wer sie dort installiert hatte, wenn ich auch nicht wusste, wie es ihm gelungen war. Sobald mein Wirt die Wahrheit über sein Vorhaben sagte, würde eine Mentalschaltung ausgelöst, die eine beachtliche Menge psionischer Energie freisetzte, die in seinem Unterbewusstsein gespeichert war. Die Auslösung erfolgte auf explosive Art. Das Gehirn meines Wirts würde dadurch zerstört werden. Er starb, und wenn ich mich bis dahin noch in ihm befand, starb ich ebenfalls. So sicherte sich Leticron gegen Verrat.
Sobald ich ihm also den Impuls zum Sprechen gegeben hatte, würde ich seinen Körper verlassen müssen – noch bevor er das erste Wort aussprach. Der Aufenthalt im Körper eines Nichtmutanten würde mir nicht sonderlich zusagen. Aber wer kümmerte sich um Bequemlichkeit, wenn es um das Schicksal der verbleibenden Menschheit ging?
Thomas Kantenberg zitterte. Furcht und Schwäche waren in gleicher Weise dafür verantwortlich. »Ich … ich fühle mich beunruhigt«, stieß er hervor. »Ich komme mit dem Mutanten in mir einfach nicht zurecht. Ich meine, dass er mich … nun, übernehmen will, sobald ich einschlafe. Deswegen …«
»Ihr Benehmen ist das eines unreifen Kindes«, fiel ihm Ebenezer Krohl scharf ins Wort. »Sie sind völlig ungefährdet. Der Mutant, den Sie in sich tragen, ist froh, dass er aus seinem Gefängnis gerettet worden ist, und hat alles andere im Sinn, als Sie zu übernehmen.«
Kantenberg senkte den Kopf und blickte
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