Silberband 081 - Aphilie
Polizeichef stellte eine Visifonverbindung her.
»Setzen Sie sich dort auf den Stuhl, aber so, dass Sie nicht von der Optik erfasst werden können. Ich bitte das Stummhaus Nr. 23 um Auskunft.«
Kervin sagte nichts. Er musste den Dingen ihren Lauf lassen, denn aufhalten konnte er sie ohnehin nicht. Wenn er redete, würde er die Sache für den Unbekannten nur noch schlimmer machen.
Der Polizeichef bekam die gewünschte Verbindung und verlangte die Verwaltung des Stummhauses. Dann fragte er: »Vor sechs Tagen überstellte ich Ihnen einen gewissen Kervin Caughens mit der Einweisung. Ich möchte wissen, ob er vorschriftsmäßig eingeliefert wurde.«
Eine solche Frage war mehr als ungewöhnlich, denn niemand kümmerte sich mehr um einen Alten, der im Stummhaus verschwand, auch ein Polizeichef nicht. Geduldig wartete er auf die Antwort.
»Ein Kervin Caughens befindet sich bei uns. Seine Untersuchung wurde abgeschlossen, und er hat Quartier bezogen. Sonst noch etwas?«
»N…nein, danke. Das ist alles.« Er schaltete das Gerät aus und blickte Kervin ungläubig an.
»Caughens, Sie sind gleichzeitig hier und in Melbourne. Ich weiß nicht, was ich mit Ihnen machen soll. Es kann Sie doch nicht doppelt geben!«
Der Alte zuckte die Achseln und schwieg. Er wurde in die Zelle gebracht, in der Kathleen wartete. Als sich die Tür hinter ihm schloss, setzte er sich auf das freie Pritschenlager. »Also sind wir wieder zusammen«, flüsterte er müde und enttäuscht.
Sie begrüßte ihn durch bloßes Kopfnicken. »Keiner kann dem anderen einen Vorwurf machen. Dabei hätte es sich auf dem Plateau gut leben lassen.«
»Auch ohne Gewehr«, fügte er hinzu.
»Du hast Recht. Das war dumm von mir.«
»Noch dümmer war die Geschichte mit der verlassenen Siedlung.« Er sah Kathleen an. »Aber da gibt es noch eine viel dümmere Sache. Kervin Caughens ist, wie dem Polizeichef soeben bestätigt wurde, längst im Stummhaus. Ich bin überflüssig.«
»Rede keinen Unsinn! Du glaubst doch selbst nicht, dass er dich laufen lässt, bloß weil ihm ein Irrtum unterlaufen ist? Du musst ihm die Geschichte deiner Flucht aus dem Gefängnis schildern.«
»Dann erwischen sie den Mann, der mir geholfen hat.«
Kathleen nickte und dachte nach. »Stimmt auch wieder«, gab sie schließlich zu. »Es wird besser für uns alle sein, wir überlassen die Entscheidung dem Polizeichef. Wenn er seinen Fehler vertuschen will, müssen wir ihm dabei helfen. Allerdings werde ich dann allein ins Stummhaus gehen müssen und mit deinem Doppelgänger vorlieb nehmen. Ich möchte ihn gern sehen.«
»Rede keinen Unsinn, Kathleen. Er kann mich nicht laufen lassen, ohne sich eines Verbrechens gegen die Staatsordnung schuldig zu machen. Man wird uns beide nach Melbourne bringen.«
»Und dort? Was tun die mit zwei Kervins?«
»Keine Ahnung. Wir können nur abwarten …«
In seinem Büro schaltete der Polizeichef die Abhöranlage ab und lehnte sich in seinen Sessel zurück. Auf seiner Stirn stand eine steile Falte. Er dachte angestrengt über das Gehörte nach. Man hatte ihn also in der vergangenen Woche hereingelegt. Jemand hatte Kervin Caughens' Identität angenommen und sich freiwillig ins Stummhaus bringen lassen.
Aber warum?
Darauf gab es nur eine Antwort: Der freiwillige Doppelgänger gehörte zu einer Gruppe von Untergrundlern, die das Geheimnis der Stummhäuser ergründen wollten, und er war unfreiwillig ihr Komplize geworden. Sollte er die Angelegenheit vertuschen oder Farbe bekennen, ehe Schlimmeres geschah? Vielleicht konnte man ihm sein Vergehen, das eigentlich keins war, verzeihen.
Der Transporter ging morgen. Bis dahin hatte er Zeit, alles genau zu überdenken.
Auf der anderen Seite würde er ein Risiko eingehen. Wenn auch nur einer der beiden Alten den Mund aufmachte, war er verloren, in doppelter Hinsicht sogar. Da war es noch immer besser, den Unwissenden zu spielen und den richtigen Caughens einfach nach Melbourne zu schicken. Vielleicht wurde der Irrtum überhaupt nicht bemerkt.
Er wusste, dass es eine sehr schwache Hoffnung war, auf die er sich da verließ …
12.
Als Vester Brackjon sieben Tage im Stummhaus war und noch immer keinen realisierbaren Fluchtplan gefasst hatte, starb einer der alten Männer in seinem Wohnraum. Er hatte kurz zuvor über Schmerzen geklagt, und jemand war gekommen, um nach ihm zu sehen. Kurz danach hatte man ihn zur Untersuchung abgeholt und einige Stunden später wieder zurückgebracht.
Er lag im Bett, aber niemand
Weitere Kostenlose Bücher