Silberband 081 - Aphilie
Specht lachte höhnisch. Er warf einen kurzen Blick in den brennenden Raum und rief: »Auch du wirst mich von nichts abbringen, Crystal. Außerdem bist du langweilig.«
Vor Zorn bebend, drückte sie ab. Die Mündung der Waffe war auf seine Brust gerichtet. Aber der erwartete Strahlschuss blieb aus.
»Leer«, sagte er, packte sie am Hals und zerrte sie mit sich. »Ich habe damit gerechnet und die Waffe manipuliert.«
Er gab ihr einen Stoß, der sie herumwirbelte und weit in den Raum hineinwarf. Sie stürzte, fing sich ab und drehte sich schnell herum. Aber mit furchtbarer Gewalt schlug die Tür zu. Schwere Riegel schlossen sich, nur von außen zu betätigen. Eine Wand des kleinen Raumes stand schon in Flammen und sonderte Rauch und Schwelgase ab. Crystal ahnte, dass sie ersticken und verbrennen würde, wenn ihr nicht ein Wunder zu Hilfe kam. Sie lief in die Mitte des Raumes und sah sich um. Aber sie entdeckte nichts, was ihr weiterhelfen konnte.
Dann war sie an der Tür und hämmerte mit dem Kolben der nutzlosen Waffe gegen den isolierten Stahl.
Falls jemand sie hörte, würde es ohnehin nur ein Zufall sein, wenn er die Tür öffnete. Mitleid oder Anteilnahme zählte nichts in der Welt, in der Crystal lebte.
Jocelyn lief weiter.
»Niemand ist mir gewachsen. Ich bin Jocelyn, und jetzt bin ich wieder unabhängig«, sagte er sich leise, als er den Korridor entlanglief. Crystals Wohnung würde für die nächsten Tage gut zu benutzen sein, aber dann würde er wieder verschwinden, so schnell und geheimnisvoll, wie er in New York aufgetaucht war.
Einige Minuten später, auf halbem Weg zu einem der vielen möglichen Ausgänge, sah er, wie drei Männer einen vierten aus einem Lagerraum zerrten. »Ein Kranker! Der Attentäter!«, schrie jemand. Einer schlug auf den Gefangenen ein, die beiden anderen hielten seine Arme. Der Stoff einer Polizeiuniform riss auf. Der kleine Mann mit dem dunklen, wirren Haar riss sich los und hetzte im Zickzack auf Jocelyn zu.
»Hilf mir! Sie schlagen mich tot. Ich bin kein Attentäter«, keuchte er. Schweiß und Tränen liefen über sein geschundenes Gesicht. Aus einer Wunde über dem rechten Auge sickerte ein Blutstreifen.
Jocelyn war versucht, mit seinem Finger einen Wirbel zu schlagen, aber er zog die Waffe und richtete sie auf den Kleinen. Dunkle Augen blickten ihn mit einem Ausdruck an, den er nicht identifizieren konnte.
»Du bist der Freund des Attentäters«, sagte Jocelyn und drückte ab. Der Feuerstrahl traf den Mann in die Brust. Der Sterbende riss die Arme auseinander, ein gurgelnder Schrei löste sich von seinen trockenen Lippen. Erst dann schlug er schwer zu Boden.
Jocelyn ging an den erstarrt wirkenden Männern vorbei und entdeckte einen leeren Löschgleiter mitten im Korridor. Er riss den Einstieg auf und stellte den Mechanismus auf Manuellsteuerung um. Summend erhob sich die Maschine und schwebte davon.
Niemand sah, wie Jocelyn, der Specht, die Anlage verließ.
Niemand kümmerte sich darum, wo und ob er seinen Gleiter bestieg und davonflog. Als man ihn suchte, um ihm die Prämie auszuzahlen, stellte sich heraus, dass Crystal Talonghs Wohnung leer war. Aber es schien, als habe sich bis vor kurzem jemand dort aufgehalten.
Daargun tippte auf den Schalter und sah trübsinnig dem verwehenden Bild nach.
»Sie und ich sind getäuscht worden. Mehr oder weniger ein glatter Fehlschlag. Wir können bestenfalls eine stark geschnittene Fassung senden, Sir.«
Reginald Bull betrachtete nachdenklich seine Faust, mit der er mehrmals auf den Tisch gehämmert hatte. Vor wenigen Sekunden war gemeldet worden, dass Beiger lebte und dass man den Brand unter Kontrolle hatte. Aber die Verwüstungen in der Anlage würden einen monatelangen Produktionsausfall zur Folge haben. »Es war ein Versuch, immerhin«, schimpfte Bull.
»Outsider gegen Kranke, fast krankhafte Individualisten gegen Verbrecher … der Versuch ist fehlgeschlagen, Sir.« Daargun hustete und schluckte eine gelbe Kapsel.
»Wir werden nicht länger mit Outsidern zusammenarbeiten. Weder offiziell noch inoffiziell.«
»Trotzdem erfüllen sie die Funktion von Aasvögeln. Sie helfen uns durch ihre Tätigkeit.«
»Wir bleiben bei dem Status, der vor diesem Versuch herrschte. Verstanden?«
»Sicher, Sir.«
Reginald Bull lehnte sich zurück und dachte nach. Nach kurzem Schweigen sagte er übergangslos: »Ich werde mich wohl selbst um diesen kranken Mann kümmern müssen, um Roi Danton. Er versucht, alle Nicht-Aphiliker zu
Weitere Kostenlose Bücher