Silberband 088 - Der Zeitlose
dieses Vorgangs sind alle Menschen verschwunden. Nur Sie und ich sind geblieben. Wir sind die einzigen Menschen auf Terra.«
Als es hell wurde, trat Jan Speideck wieder auf die Straße hinaus, sah sich um, bildete mit den Händen einen Trichter vor dem Mund und schrie: »Ist jemand hier, der mich hören kann?«
Es kam keine Antwort.
»Verdammt!« Diesmal war seine Stimme nur noch ein Krächzen. Er fürchtete die Einsamkeit rundum. Die Stadt mit ihren gewaltigen, von Menschen verlassenen Bauten wirkte bedrohlich. Speideck duckte sich unwillkürlich. Wo sind sie alle?, fragte er sich voll Entsetzen.
Gerade jetzt, da er völlig neue Empfindungen an sich entdeckte, brauchte er Kontakt mit anderen Menschen. Er musste mit jemand reden. Es musste etwas geschehen, damit er möglichst schnell zurück in den Zustand der Aphilie versetzt wurde.
Aber das wollte er nicht wirklich. Als Aphiliker hätte ihm die Einsamkeit nur weniger zu schaffen gemacht. Das war der einzige Punkt, der für die Aphilie sprach.
»Wenn niemand kommt«, sagte Speideck trotzig zu sich selbst, »werde ich eben nach den Menschen suchen.«
Er kehrte in die Trainingshalle zurück, nahm sein Plakat aus dem Rahmen, rollte es zusammen und klemmte es sich unter den Arm. Immer wenn er für längere Zeit wegblieb, nahm er dieses Plakat mit. Er hatte es schon an den verschiedensten Plätzen aufgehängt, ohne aber jemals mehr als geringfügige Aufmerksamkeit damit zu erzielen.
Speidecks Trainingsanlage lag im mittleren Stadttrakt, auf der zweiten Ebene. Er wunderte sich, dass kein einziges Fahrzeug unterwegs war. Die Energiehochstraßen waren abgeschaltet, alles war still.
Er betrat ein Warenhaus und sah sich darin um. Er musste sich im Halbdunkel vorantasten, denn außer dem Tageslicht, das durch die Fenster fiel, gab es keine Lichtquellen. Das Hauptstromnetz war offenbar abgeschaltet worden.
In einer Imbissecke aß und trank Speideck. Danach fühlte er sich wohler. Er lächelte sogar ein bisschen, als er daran dachte, dass diese Art des Einkaufens gewisse Vorteile hatte – man brauchte nicht zu bezahlen. Allerdings war Geld in einer Riesenstadt ohne Menschen ein fragwürdiger Besitz.
Speideck rüstete sich mit einem Rucksack aus, den er mit zahlreichen Utensilien füllte. Er würde bald lernen, dass der größte Teil dieser Gegenstände in einer verlassenen Stadt unbrauchbar war, und sie nach und nach gegen andere austauschen.
Als er das Warenhaus verließ, war es kurz nach neun Uhr. Inzwischen hatte er festgestellt, dass alle noch funktionierenden Uhren den 5. Januar zeigten. Alle anderen waren offenbar zur gleichen Zeit stehen geblieben: am 2. September im vergangenen Jahr.
Es hatte zu schneien aufgehört, aber ein kalter Wind blies ihm ins Gesicht. Speideck schob den Schutzhelm weiter nach vorn. Sein nächstes Ziel war ein Transmitteranschluss, über den er den Stadtsektor erreichen wollte, in dem er wohnte. Allerdings war das Transmittersystem ebenso abgeschaltet wie die Hochenergiestraßen. Er untersuchte ein paar Gleiter, aber sie besaßen kodifizierte Starter und stellten ihn damit vor unlösbare Probleme.
Er wanderte die Straße entlang, bis er in der Auslage eines Werkzeuggeschäfts einen Mann liegen sah. Speideck erkannte sofort, dass der Mann tot war. Der Leichnam schien schon lange an diesem Platz zu liegen, denn er war bereits in Verwesung übergegangen.
Immerhin, dachte Speideck sarkastisch, sind die Toten nicht mit den Lebenden verschwunden.
Stunden später erreichte er die Kneipe, in der er ab und zu mit Galt und anderen Bekannten zusammengekommen war. Im Nachhinein erschienen Speideck diese Treffen schal und sinnlos. Aphiliker hatten sich nicht viel zu sagen. Andererseits waren stets Frauen im Lokal gewesen, die sich ihm sexuell angeboten hatten.
Es war, resümierte er bitter, als hätten sich menschliche Roboter zusammengefunden.
Er schlug ein Loch in die Glastür und öffnete das Schloss von innen. Dann stieß er die Tür auf. »Cersivon!«, rief er in den verlassenen Schankraum.
Niemand war da. Er durchquerte den Raum und schaltete die Bildwand ein. Sie blieb dunkel.
Licht gab es ebenfalls nicht. Sicher war dies der denkbar ungeeignetste Raum, um ein Quartier aufzuschlagen, doch Jan Speideck zog diese bekannte Umgebung allen anderen Plätzen vor.
Er begab sich in die hinteren Räume, in denen Pethakor Ams, der Besitzer, gelebt hatte. Die Wohnung war unaufgeräumt, Speisereste lagen auf dem Tisch. Speideck machte alles
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