Silberband 088 - Der Zeitlose
großer Behutsamkeit aus seiner Kauerstellung.
Speideck hatte es im Ausstellungsraum nicht mehr ausgehalten und war aufs Dach gegangen, um die Szene von oben zu beobachten. Da er jedoch kaum etwas erkennen konnte, kam er schon wenige Augenblicke später wieder zurück.
»Wenn wir nur wüssten, was sich unten abspielt«, sagte er gepresst. »Ich gäbe viel darum, könnte ich dabei sein.«
»Wir müssen warten, bis Alaska Saedelaere uns benachrichtigt«, erwiderte Sante Kanube, obwohl er nicht weniger ungeduldig war.
In den letzten Stunden hatten sich entscheidende Veränderungen ergeben. Diese Überzeugung war sicher schwer zu begründen, doch Kanube verließ sich ganz auf seine Vorahnungen. Von nun an würde alles anders sein.
»Dieser Mann wird einen totalen Umschwung in unser Leben bringen«, sagte Marboo, als hätte sie seine Gedanken erraten. »Er weiß genau, was er will.«
Kanube wandte sich an die Frau und an Speideck. »Ich hätte heute Morgen fast einen unverzeihlichen Fehler begangen«, gestand er. »Es ist wichtig, dass ihr davon erfahrt, denn ich möchte nicht, dass in Zukunft etwas zwischen uns steht.«
Speidecks Blick fiel auf Kanubes Ausrüstungsbündel. »Sie wollten uns verlassen?«
»Ja«, sagte Kanube.
»Wir reden besser nicht darüber«, schlug Marboo vor. »In diesem Zusammenhang möchte ich feststellen, dass ich jedem von euch ein guter Freund sein will. Andere Beziehungen sind vorerst nicht denkbar.«
»Eine schöne Abfuhr«, sagte Speideck verlegen.
»Sie betrifft uns beide«, fügte Kanube erleichtert hinzu.
Bevor sie sich weiter unterhalten konnten, knackte das Funkgerät.
»Saedelaere!«, rief Kanube alarmiert.
Die unverwechselbare Stimme des Maskenträgers drang aus dem Lautsprecher. »Es besteht keine Gefahr mehr«, sagte er. »Der Bann ist gebrochen. Sie können jetzt aus dem Haus herauskommen.«
»Was heißt das?«, entfuhr es Kanube. »Haben Sie Kontakt?«
»Ab sofort sind wir zu fünft«, entgegnete Alaska Saedelaere.
»Wie?« Kanube schaute Speideck und Marboo ungläubig an. »Wer ist dieser Fremde?«
Alaska lachte leise. »So genau kann ich das jetzt noch nicht sagen. Auf jeden Fall ist er ein Freund.«
23.
Er hörte den Sturm heulen, und irgendwo tief in seinem schmerzenden Schädel erzeugte ein Mechanismus, über den er keine Kontrolle hatte, immer wieder denselben Gedanken: Ich muss mich erinnern …!
Name?
Walik Kauk.
Mühsam und unter Schmerzen suchte er die Fragmente seiner Erinnerung zusammen und bemühte sich, sie in Ordnung zu bringen. Ein Teil seines Bewusstseins, das mehr Standvermögen hatte als der andere Teil, mit dem er sich identifizierte, hatte ihm keine Ruhe gelassen und ihn aus der Bewusstlosigkeit in die Wirklichkeit zurückgeholt.
Wirklichkeit …?
Walik Kauk schlug die Augen auf und erschrak. In der ersten Sekunde fürchtete er, erblindet zu sein. Es war finster ringsum. Aber dann zog er den Arm unter dem Körper hervor und bemerkte die Leuchtziffern der Uhr, die er am Handgelenk trug. Es war also wirklich finster. Die Stromversorgung musste ausgefallen sein.
Er warf einen zweiten Blick auf die Uhr und fühlte, wie ihm das Blut in den Adern zu gerinnen drohte.
04-01-3582 …
Da stimmte etwas nicht! Undeutlich entsann er sich eines anderen Datums. Seine Erinnerung war noch lange nicht lückenlos. Vor allem fiel es ihm schwer, sich an die Dinge kurz vor dem Eintritt seiner Bewusstlosigkeit zu erinnern.
Es war der 2. September 3581 …
Nome …
Ich komme aus Nome, erinnerte er sich. Ich habe eine wichtige Position in einem Textilunternehmen dort. Und ich habe eine Jagdhütte am Fuß der Kigluaik-Berge. Am 1. September habe ich mein Büro verlassen und bin zur Hütte gefahren. Dort liegt ein großer Vorrat an PILLEN. Seit August bin ich ein ständiger Kunde der Händler, weil ich glaube, dass mir die PILLE dazu verhilft, ein vernünftiger Mensch zu werden.
Aber irgendwann, entsann er sich, am 1. oder am 2. September, habe ich den gesamten Vorrat auf einmal geschluckt … mehr als zwanzig, vielleicht sogar an die dreißig Stück. Das hat mich in einen Zustand berauschter Seligkeit versetzt … aber dann – da ist nichts mehr, keine Erinnerung.
Walik Kauk lag still und lauschte dem Heulen des Sturmes.
Vier Monate, registrierte er benommen. Was ist inzwischen geschehen …?
Ein scharfer Schmerz im Bein weckte Bluff Pollard. Er fuhr in die Höhe und schrie. Vor sich in der Dunkelheit sah er eine Menge glühender Punkte. Als
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