Silberband 092 - Das MODUL
tun, was ich bisher immer vernachlässigen musste. Ich werde nachdenken über das, was es außerhalb des Lebens eines Bewohners von Alwuurk noch gibt, nicht die Sterne, sondern den Raum, den ein freier Geist zu durcheilen vermag. Mein Geist war bisher von den Fesseln der Konvention und den siebzehn Klassen eingeschränkt.
Jetzt wird er sicherlich seine Fesseln abwerfen und frei umherschweifen. Welch köstliche Vorstellung. Welch ein Triumph des Verstandes und der Fantasie über die starren Regeln der Kasteneinteilungen, über die innere und äußere Disziplin, über alles.
Heute beginnt die erste Zeit der Schwärze. Die erste Nacht meiner Freiheit.
Ich warf einen langen Blick hinaus in die leuchtende Wüste von Kalwuug, der städtischen Umgebung des Raumhafens. Jetzt herrschte die Nacht: das trockene braune Gras verwandelte sich in schimmerndes Silber, über das die abgekühlten Windstöße hinwegfuhren. An dieser und jener Stelle tauchten Bilder von anderen Orten des Planeten auf.
»Trügerische Gebilde, schnell und vergehend wie Gedanken«, sagte ich in die Ruhe meines Wohnraums hinein. Ich war allein: meine Nachkommen waren gestorben, noch ehe sie leben durften.
Langsam bewegten sich meine Füße über den polymerisierten Sand des Bodens. Ich spürte die Wärme und die Vibrationen der lebendigen Körner unter meinen sechzehn Zehen, ein herrliches Gefühl. Vor dem Schwebepult blieb ich stehen und legte meine Finger auf die dünnen Platten des Schreibmetalls.
Ich las leise: »Das also ist alles, was wir wissen über jenen, der sich zeigen wird im schwarzen Zeichen des Pruuhls. Es mag sein, dass überaus lange Zeit kein Träger des schwarzen Kristalls unter denen ist, die dem Tal des Lebens entschlüpfen wie dem bewundernswerten und überaus mächtigen Ei.
Aber dereinst wird kommen der Kristall des Krieges. Das Große Ei wird bersten, und ein Pruuhl wird daraus hervorsteigen wie ein Sandwirbel im kochenden Mittag des Tages. Derjenige aus dem Volk der Choolks wird anders sein als ihr alle. Er wird Macht haben und Klugheit! Er wird derjenige sein, von dem eure Legenden und Sagen sprechen! Und wartet und staunt – das Universum wird beben unter dem wilden Glanz seines schwarzen Kriegskristalls!«
Worte, so schön und mächtig wie Sandstürme, dachte ich, ging zurück zu der Trinksäule und tauchte meinen kleinen Rüssel abermals in den Nektar. Ich war ergriffen. Ich war einer der treuesten und eifrigsten Diener der Duuhrt, in der dreizehnten von siebzehn Klassen der Lumineszenz aus dem Ei geschlüpft. Mit großem Eifer und tadelfreier Aufmerksamkeit hatte ich alle Pflichten und Rechte der dreizehnten Klasse wahrgenommen. In wenigen Tagen würden meine Freunde hier eintreffen. Die Gruppe der ›Geleiter‹ würde mit mir trinken, sprechen und den Letzten Gesang anstimmen. War ich bis zu dieser Stunde in den Bereich des Wissens vorgestoßen?
Ich blieb vor dem Ziergitter stehen und sah hinüber zum Raumhafen.
Kugeln und rotierende Ringe. In der Ferne schaukelten die riesigen Bäume der Oase von Kalwuug-Allash. Das Wandern der Dünen war schon vor einer Stunde zur Ruhe gekommen.
Wieder ging ich zurück, legte die zwei Markierungsfinger auf die Seite und las weiter.
»Er wird Puukar genannt werden wie immer. Er wird mächtig sein. Sein Verstand ist schnell, weit reichend und überaus logisch. Er wird alle Choolks anführen, alle jene Millionen choolkischer Kämpfer, Denker und Raumfahrer.
Die alten Legenden mögen verzerren, sie mögen übertreiben und schmeicheln, aber dieses ist die Wahrheit: Er wird erbarmungslos sein wie der strahlende Nachtfalke der Al-Wuurk-Wüsten. Er wird euch allen ein überaus großer Anführer sein. Aber die Zeit, in der er anführen und herrschen wird, bringt Leid, Schrecken und Kampf über das gesamte Volk der Choolks.«
Ich berührte mit dem achten rechten Finger einen Kontakt. Eine runde Fläche zwischen den Foliensammlungen an der Stirnwand erhellte sich. Augenblicke später baute sich das Bild eines Choolks mit gleißend leuchtendem Kristall auf.
»Ich rufe Duun dreizehn«, sagte er, dann entdeckten mich seine Augen hinter dem Lesepult.
»Ich grüße dich, Pyttcor siebzehn«, antwortete ich und heftete meinen Blick auf seinen strahlenden Kristalldiamanten. »Zu solch später Stunde?«
Pyttcors Stimme war unangenehm hell und klirrend, als er hastig sagte: »Es wird Ärger und Aufregungen geben, Duun.«
»Nicht für mich. Du weißt, dass meine letzten Tage angebrochen sind.
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