Silberband 093 - Abschied von Terra
Saedelaere hatte die Informationen über den Anching-Zwischenfall ausgegraben – ein halbes Wunder angesichts des Durcheinanders, das in den Tagen vor der Großen Katastrophe im staatlichen Nachrichtennetz geherrscht hatte. Der Erste Ordnungskommissar von Anching, Lao Kitchener, hatte in der Tat eine Strafexpedition geleitet. Der Name der betroffenen Stadt war Ihsien. Eine Fußnote vermerkte, dass Kitchener die Aktion wahrscheinlich privater Vorteile wegen betrieben habe. Und diese Fußnote verwies zugleich auf Gerüchte, dass es in der Nähe von Ihsien, in einem unterirdischen Hangar, Raumschiffe gebe. Auf diese hatte Kitchener es wohl abgesehen gehabt.
Alaska steuerte aus seiner Erinnerung bei, dass die SolAb vor einigen hundert Jahren südwestlich von Shanghai einen Raumhafen angelegt hatte. Keine große Anlage, wie er wusste, jedoch mit erstklassiger Ausstattung. Eigentlich konnte es sich dabei nur um den Hangar von Ihsien gehandelt haben.
»Also wissen wir jetzt, wohin wir uns zu wenden haben«, erklärte Kanthall. »Die Frage ist, wie gehen wir weiter vor?«
»Leute, wir haben etwas völlig übersehen!«, rief Sante Kanube urplötzlich aus.
Das kam so unerwartet, dass Walik Kauk den Afroterraner entgeistert anstarrte. »Was meinst du?«, fragte er.
»Ich meine, dass Ihsien vielleicht ein mörderisch heißes Pflaster ist. Hast du dir schon überlegt, wie viel eine kleine Stadt auf dem Kasten haben muss, um ein Ka-zwo-Kommando zu vernichten?«
Walik Kauk gestand sich ein, dass er darüber nicht nachgedacht hatte.
»Dieser Kitchener wusste, dass es in Ihsien Raumschiffe zu holen gab. Den Leuten von Ihsien war das sicher auch bekannt, oder?«
»Wahrscheinlich«, bestätigte Kauk.
»Die Leute von Ihsien haben ebenfalls gewusst, dass die ganze Welt hinter Raumschiffen her ist, klar? Also werden sie rechtzeitig Vorsichtsmaßnahmen getroffen haben. Auf der anderen Seite sind die Ka-zwos ausgezeichnete Kampfmaschinen. Dass trotzdem ein ganzes Kommando vernichtet worden ist, beweist, dass die Bürger von Ihsien über schwere Geschütze verfügt haben müssen.«
Dem konnte Kauk nicht widersprechen. Sante fuhr fort:
»Wer so viel in die Sicherheit investiert, der hat sich bestimmt ein automatisches Feuerleitsystem angeschafft. Und wenn die Anlage zudem über ihre eigene Energieversorgung verfügt, dann funktioniert das Ganze heute noch, kapiert?«
Douc Langur hatte dem Gespräch der beiden zwar zugehört, aber geschwiegen. »Das klingt alles irgendwie plausibel«, sagte er jetzt und richtete seine Sinnesfühler auf die Bergketten, die langsam unter der HÜPFER zurückblieben. »Genau aus diesem Grund nähern wir uns auch nur mit äußerster Vorsicht.«
Die kleine Stadt Ihsien lag in einem Tal, das sich von Südwest nach Nordost zog. Früher hatte es eine Straße gegeben, die dem Verlauf der Talsohle folgte. Als die HÜPFER über den Hügelkamm hinwegglitt, sah jeder an Bord, dass die Natur ihr Terrain zurückerobert hatte. Die Straße war nur noch daran zu erkennen, dass die Pflanzen dort jünger waren und weniger dicht standen als an den Rändern des Tales.
Die kleine Stadt selbst sah anders aus, als Walik Kauk sie sich vorgestellt hatte. Seit der Großen Katastrophe waren über zehn Monate vergangen. Jeder erwartete, nach dieser Zeit Spuren des beginnenden Verfalls zu sehen. Das außer Rand und Band geratene Klima mochte sehr viel dazu beigetragen haben, den Zerfallsprozess zu beschleunigen. Aber Ihsien war nicht in langsamem Zerfall begriffen, es war zerstört worden!
»Da stimmt etwas nicht!«, stieß Kanube hervor. »Ich dachte, sie hatten den Angriff abgewehrt.«
»Es kann später einen zweiten Angriff gegeben haben«, pfiff Douc Langur.
In diesem Moment geschah es. Walik Kauk sah zwischen den Trümmern ein grellrotes Licht aufglühen. Gleichzeitig traf ein schmetternder Schlag die HÜPFER und schleuderte sie beiseite. Kauk wurde in die Höhe gerissen und prallte mit dem Schädel gegen ein Hindernis. Die Welt versank für ihn in einem Feuerwerk.
Als er wieder zu sich kam, war alles ruhig – bis auf das Dröhnen in seinem Kopf. Benommen richtete Kauk sich auf. Douc Langur saß auf seinem Balken. Augustus und Sante Kanube kauerten dicht nebeneinander auf dem Boden. Draußen war dichte Vegetation zu sehen. Die HÜPFER war gelandet.
»Was ist los?«, krächzte Kauk.
»Wir haben den Treffer ohne nennenswerten Schaden überstanden«, antwortete der Forscher. »Wir sind hinter die Biegung des
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