Silberband 094 - Die Kaiserin von Therm
»Was ist los? Was habe ich getan? Warum steht ihr alle da, und warum sagt keiner was?«
Marboo fasste ihn bei den Schultern und drehte ihn zu sich herum. »Ein kleines Missverständnis, Walik«, sagte sie zärtlich. »Setz dich zu mir.«
Später an diesem Abend klagte Walik Kauk über Kopfschmerzen und ging zur Ruhe. Seit seinem Auftritt als Kaiser Diokletian hatte er kein Wort mehr gesprochen. An den Tischen, im Schein der Notbeleuchtung, wurde noch bis über Mitternacht hinaus über den eigenartigen Zwischenfall diskutiert. Marboo kam aus ihrer Hütte und berichtete, dass Walik nach einigem Zureden schließlich eingeschlafen war.
»Was ist das?«, fragte sie Kanthall. »Wahnsinn?«
»Ich glaube nicht«, versuchte Jentho, sie zu trösten. »Er war wieder ziemlich normal, nachdem Augustus ihm den Schubs gab.«
»Aber es könnte wiederkommen?«
»Das weiß ich nicht. Vielleicht hat Douc etwas dazu zu sagen, wenn er morgen aus seiner Antigravwabenröhre hervorgekrochen kommt.«
In dieser Nacht schlief keiner gut. Der Vorfall gab jedem zu denken.
War Walik Kauk unter der seelischen Belastung der letzten eineinhalb Jahre zusammengebrochen? Wenn er durchdrehte, was hatten die anderen dann zu erwarten? Wie viel Zeit blieb ihnen, bis sie ebenfalls dem Wahnsinn verfielen?
Am nächsten Tag war Jentho Kanthall als Erster auf den Beinen. Er hatte kurz vor Sonnenaufgang die Orterwache von Bluff Pollard übernommen. Durch das Fenster sah er Vleeny Oltruun kommen. Er ging ihr entgegen und begrüßte sie mit einer Umarmung.
In dem Moment eilte weiter oben im Tal eine menschliche Gestalt durch die Büsche. Sie war nur einen Sekundenbruchteil lang sichtbar – zu kurz für Jentho, um sie zu identifizieren. Zugleich erhob sich bei den Hütten ein zeterndes Geschrei. Sailtrit Martling kam im Eiltempo heran. Sailtrit, über fünfzig und gebaut wie eine Walküre, war sonst eine beherrschte Frau. Jetzt aber jammerte sie, und als sie näher kam, verstand Jentho wenigstens Wortfetzen: »Bilor … Jäger … Wahnsinn …«
»Bilor ist auf und davon!«, stieß Sailtrit dann keuchend hervor. »Weiß der Himmel, was in ihn gefahren ist. Er war grob und knurrte mich nur an.«
»Was sagte er?«
»Irgendeinen Blödsinn von Säbelzahntigern, Wind, Witterung und Fallen. Dann nahm er seine Speerschleuder …«
»Seine – was …?«
»Ein Stück dicker Draht. Er nannte es jedenfalls Speerschleudcr. Wenn der zweite Mond aufgeht, sagte er, wollte er wiederkommen. Wenn ich dann nicht ein anständiges Feuer am Brennen hätte, würde er mich verprügeln.«
Sie hatte die Arme in die Seite gestemmt und sah Jentho drohend an. Kanthall unterdrückte das Schmunzeln, das sich auf seinem Gesicht breit machen wollte. Für Sailtrit war der Fall ernst.
»Du hast erlebt, was Walik Kauk gestern Nacht aufgeführt hat?«, fragte er. »Anscheinend macht Bilor etwas Ähnliches durch. Er ist nicht Diokletian, sondern ein Jäger der Altsteinzeit. Mach dir keine Sorgen, ich schicke Bluff hinter ihm her. Bilor wird vermutlich von selbst wieder zu sich kommen.«
Sailtrit hatte noch wesentlich mehr auf dem Herzen, aber Jentho Kanthall ging einfach davon und ließ sie stehen. Er ging zu Walik Kauk, der schon vor seiner Hütte saß und unglücklich in den jungen Morgen schaute. Kanthall ließ sich neben ihm nieder. Marboo war innen beschäftigt.
»Walik, ich habe eine Frage!«
»Immer nur zu …«
»Was weißt du über die Christenverfolgungen im römischen Reich Ende des dritten, Anfang des vierten Jahrhunderts?«
Walik Kauk war so niedergeschlagen, dass er kaum aufsah. »Nichts«, antwortete er. »Warum?«
»Ich dachte es mir«, brummte Jentho Kanthall, stand auf und ging davon.
16.
Vorstoß ins Leere
Die letzten Minuten der Linearetappe waren voll unerträglicher Spannung. Mentro Kosum flog die SOL in Gedankensteuerung mit Hilfe der SERT-Haube.
Die Hauptzentrale des SOL-Mutterschiffs war ein weites Rund. Im Durchschnitt taten hier zweihundert Offiziere und Mannschaften Dienst. Derzeit waren es wenigstens doppelt so viel. Perry Rhodan saß auf dem Kommandantenpodest in der Mitte des Raumes. Er verbarg seine Erregung hinter der Maske eines steinernen Gesichts. Neben ihm waren Reginald Bull, sein Sohn Roi Danton und Geoffry Abel Waringer.
Der Augenblick der Wahrheit stand bevor. Die Terraner an Bord sahen ihm schon lange mit fiebernder Erwartung entgegen, während sich die SOL-Geborenen davor fürchteten.
Rhodan griff nach dem Kristall, den
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