Silberband 094 - Die Kaiserin von Therm
Leben zu verteidigen.
Gegen Mittag kam er an eine Stelle, an der das schluchtähnliche Tal sich erweiterte und den Ausblick nach Osten freigab. Die Duonawe bildete hier einen mächtigen Wasserfall, dessen Fuß ein kleiner See bildete. Aus diesem See strömte der Fluss ruhig und gebändigt in das weite Tal hinein.
Wo das Tal weit im Osten eine Biegung beschrieb, erkannte Botho die Zinnen und Türme einer Stadt. Das musste Carpis sein. Er hob den Arm und schüttelte die Faust in Richtung der feindlichen Ansiedlung. »Antoninus, der Rächer kommt!«, verkündete er dazu.
Er gelangte auf ein Felsband, das sich als brauchbarer Weg erwies. Es endete drei Fuß über der Talsohle, im Windschatten eines Felsvorsprungs. Botho sprang hinab. Der Schild hinderte ihn dabei. Er fiel hin und richtete sich fluchend wieder auf, als er Geräusche hörte, die wie menschliche Schritte klangen. Botho presste sich an den Felsen und wartete. Wer sich hier bewegte, konnte nur ein Römer sein oder einer der schmierigen Awaren.
Eine Gestalt tauchte hinter dem Felsvorsprung auf, ein Mann von hohem Wuchs, mit breiten Schultern. Er hatte den Blick zu Boden gerichtet, als suche er etwas. Deshalb bemerkte er Botho zunächst nicht.
Botho aber hätte vor Überraschung fast aufgeschrien. Er musste nicht in die feindliche Stadt hinein, der falsche Römer kam ihm entgegen!
Der da ahnungslos auf ihn zukam, war kein anderer als Antoninus Philosophus.
Botho trat aus seiner Deckung hervor. »Halt!«, herrschte er den Römer an.
Antoninus sah überrascht auf. Als er den Gegner erkannte, flog ein fröhliches Lächeln über sein Gesicht, das Botho sich nicht erklären konnte. War er womöglich in eine Falle getappt?
»Walik, du?«, sagte der Römer freudig überrascht. »Du kommst mich suchen?«
»Feigling!« Botho spie das Wort verächtlich aus. »Glaubst du, du könntest der Rache des Markomannenherzogs entkommen, indem du ihm einen falschen Namen gibst?«
Der Römer hob abwehrend beide Hände. Sein Gesicht war verwirrt. »Vorsicht, Walik«, sagte er. »Das ist ein fürchterliches Missverständnis! Ich weiß nicht, wie ich hierher gekommen bin. Wahrscheinlich ist der Zeithammer daran schuld. Ich bin Jan Speideck. Sagt dir der Name etwas?«
»Du bist Antoninus, der Verräter!«, donnerte Botho. »Die Römer nennen dich ihren Kaiser, den Philosophen und Marcus Aurelius. Gib dir weitere Namen, wie es dir beliebt, der Rache entgehst du deswegen nicht.«
»Ich glaube, dich hat der Zeithammer auch erwischt«, murmelte der Römer verstört. »Marcus Aurelius? Kommt mir bekannt vor. Wenn ich mich nur erinnern könnte …«
»Steh!«, fuhr Botho den Zurückweichenden zornig an. »Dein Verrat hat mich zwei Hundertschaften meiner erfahrensten Kämpfer gekostet. Das war das Werk eines Neidings, und Neidinge sind des Todes! Steh und wehre dich!«
Der Römer warf die Arme in die Höhe. »Walik, hör doch …!«, rief er beschwörend.
»Nimm dein Schwert und deinen Schild und kämpfe mit mir!«
»Ich habe beides nicht.«
»Du willst wie ein Feigling sterben? Hier – nimm meinen Schild!« Botho riss sich das ungefüge Ding von den Schultern und schleuderte es dem Römer entgegen. Der fing es mit einer Hand auf und betrachtete es mit unbeschreiblichem Gesichtsausdruck.
»Das ist kein Schild. Das ist ein Hocker!«
»Beleidige meine Waffen nicht! Sieh lieber zu, was du gegen ein markomannisches Langschwert ausrichten kannst!« Botho umklammerte den Knauf des Schwertes und riss es aus der Scheide.
»Walik – lass den Strahler in Ruhe!«, rief der Römer entsetzt. Er ergriff nun den Schild. Die Art, wie er ihn gebrauchte, brachte den Markomannen aus dem Konzept. Der Schild war eine Waffe der Verteidigung, der Römer aber schwang ihn wie eine Angriffswaffe. Botho musste den wütenden Schlägen ausweichen. Das Langschwert, das ihm in vielen Schlachten so treue Dienste erwiesen hatte, reichte plötzlich nicht mehr aus, um den Feind zu durchbohren.
Mit voller Wucht sauste der Schild herab. Botho, verwirrt und unsicher, versuchte, dem Schlag auszuweichen. Dabei übersah er einen Felsbrocken und stolperte. Der Schlag traf ihn im Sturz.
Mit dröhnendem Schädel kam Walik Kauk wieder zu sich. Vor ihm lag ein Hocker im Gras. Er hatte das Prachtstück selbst gefertigt und Marboo geschenkt.
Walik griff sich an den Kopf. Über der Schläfe spürte er eine kräftige Beule. Blut hatte sich im Haar verkrustet. Er fragte sich, was geschehen sein mochte. Wo befand
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