Silberband 095 - Mensch aus dem Nichts
und in den Abfallvernichter warf.
»Tragisch und nicht im Geringsten weiterführend«, sagte er versonnen und bedauerte selbst, dass er keine Emotionen spürte.
Sie alle befanden sich in einer Art Vakuum. Jeder von ihnen war in der Lage, sich aller Einrichtungen zu bedienen, die zum Leben eines Terraners in einer weitestgehend problemfreien Umgebung gehörten. Dies hatten sie irgendwann als Kinder und Heranwachsende nahezu automatisch gelernt. Jeder von ihnen verfügte über einen funktionierenden Verstand, keiner war schizophren oder paranoid. Ihr gemeinsamer Körper schien dem Leistungsstandard eines gesunden und trainierten Dreißigjährigen zu entsprechen.
Doch keiner der sieben wusste, wie er in den Körper gekommen war.
Gehörte der Leib, den sie sich teilten, einem von ihnen – waren sechs der Bewusstseine demnach Gäste oder Gefangene?
Wer hatte sie in dieser einzigartigen Weise manipuliert oder gar versklavt?
Warum hatte keiner von ihnen so etwas wie eigene Erinnerungen? Warum war jener Faktor, den sie als Gedächtnis kannten, leer und sauber wie ein unbeschriebenes Stück Folie?
Warum waren sie hier? Wie lange sollten sie hier bleiben? Warum das alles? Gab es einen Sinn hinter diesem System von verrückten oder mysteriösen Einzelheiten?
Pynther Äslinnen sprach aus, was die sechs anderen, passiv zuhörenden Persönlichkeiten dachten: »Völlige Desorientierung! Keiner hat die geringste Ahnung. Was wir in den nächsten Tagen unternehmen können, beschränkt sich auf reine Überlebenstechnik. Vielleicht wird uns derjenige, der dies alles zu verantworten hat, erklären, was geschehen soll. Vielleicht auch nicht.«
Ihre Existenz erschien wie der Gipfel der Sinnlosigkeit. Auf eine Weise, deren Definition ihre Vorstellungskräfte um mehrere Potenzen überstieg, schienen sie eine Versuchsanordnung zu sein – ein Modell, nichts anderes.
Ein multipler Terraner. Ein Mehrfachmensch.
Vier der sieben Persönlichkeiten hätten an diesem Punkt der Überlegungen, in dieser an sich undramatischen, aber unzweifelhaft stattfindenden Sekunde der ultimaten Wahrheit Suizid begangen. Sie versuchten es nicht, weil deutlich wurde, dass die drei stärkeren Persönlichkeiten dies mit Nachdruck verhindern würden.
Die Unsicherheit marterte dennoch alle sieben.
Hubert Kelassny: Wir sieben sind einer, sind eins. Wenn wir überleben, dann nur deswegen, weil wir uns gegenseitig nicht behindern. In dieser Form werden wir eine unbestimmte Zeitspanne lang existieren müssen. Einen Tag, einen Monat oder zwanzig Jahre …, ich weiß es nicht. Der gemeinsame Körper ernährt uns und ermöglicht uns das Weiterexistieren. Wir müssen uns abfinden, bis sich die Situation ändert.
In einer plötzlichen Intension des Mutes oder gar der Tollkühnheit fragte der Choreograf Tamoe Pheuch: »Und was bleibt uns übrig, was können wir unternehmen?« Seine Gedanken, in denen Angst, Existenznot und Ratlosigkeit klar zu Tage traten, waren schrill und ängstlich wie die eines Kindes.
Hubert Kelassny antwortete beruhigend: »Wir müssen abwarten. Überstürzte Aktionen sind häufig der Grund für tödliche Gefahren.«
Auch Kelassny zog sich dann zurück und überließ die Handlungsfreiheit wieder dem Positronikspezialisten. Pynther Äslinnen wandte sich erneut an den Zentralrechner: »Verfügt die Station über ein Hyperfunkgerät?«
»In Raum 77 B befindet sich eine autarke Einheit. Sie wurde zuletzt Ende Mai 3460 benutzt und ist funktionsfähig. Weshalb erfolgte die Frage?«
»Das geht dich einen feuchten Abfall an!«, schrie Äslinnen.
Aus einem Grund, den nicht einmal Äslinnen erkennen konnte, erschien ein Stück Folie in der Ausgabe: Die Relaisstation wurde mit einem positronischen internen und externen Verteidigungssystem ausgerüstet. Es ist ebenso sorgfältig gewartet worden wie alle anderen Minisysteme von SI-RS-290.
Äslinnen antwortete mit einer deftigen Verwünschung. Selbst er war vorübergehend völlig ratlos.
2.
Tobby Beugner sah ihr Ebenbild im Spiegel verdrossen an, zuckte in einer Geste der Resignation mit den Schultern und drehte sich um. Heute war zweifellos einer der Tage, an denen sie sich nicht leiden konnte. Ein Tag, an dem sie die Farm und sich selbst hasste, den herrlich blauen Himmel, die Sonne und alles, was den Überbegriff Wirgier trug. Hätte es eine Gelegenheit gegeben, Wirgier zu verlassen, sie wäre ohne Gepäck und Geld an Bord des nächsten Raumschiffs gegangen und hätte sich in die Arme eines
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