Silberband 095 - Mensch aus dem Nichts
zu betrachten.«
Wastor sah seinen Begleiter an. »Wir reden von der Menschheit«, sagte er. »Möchtest du entscheiden, wer das in erster Linie ist? Jene zwanzig Milliarden Bewusstseine, die in ES zusammengepfercht sind? Die Angehörigen des NEI oder die Besatzung der SOL?«
Klamous beendete das Thema mit einer entschiedenen Geste. »Wir müssen uns um das Konzept kümmern. Wahrscheinlich hält es sich in einer der Inkarnationshallen auf.« Seine Stimme wurde zu einem Flüstern. »Ob sie noch funktionieren?«
»Bestimmt! Schon deshalb müssen wir hier draußen warten und darauf hoffen, dass das Konzept zurückkommt.«
Klamous wusste, was Wastor befürchtete. Es war möglich, dass das Konzept in den Einfluss jener Kräfte geriet, die einst die Erschaffer des Planetoiden von hier weggeholt hatten. Für die damals betroffenen Intelligenzen war das ein absichtlich eingeleiteter Prozess gewesen, aber das Konzept hatte bestimmt kein Interesse daran, in der Todesschachtel zu landen.
Sekundenlang spürte Kershyll Vanne Panik. Er hatte das Gefühl, in einen bodenlosen Abgrund zu stürzen. Es gab keine Möglichkeit zur Orientierung, seine Sinne hatten sich verwirrt. Zum ersten Mal spürte er die anderen Bewusstseine wie materiell anwesende Menschen. In ihrer Not versuchten sie alle, an die Oberfläche zu drängen und irgendetwas zu unternehmen. Aber selbst in dieser Situation erwies sich das Prinzip, nach dem immer das am besten geeignete Bewusstsein den Körper lenkte, als stärker. Vanne behielt seine Position.
Er erkannte, dass er sich in einem energetischen Spannungsfeld befand. Dazu kam das Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Kershyll Vanne registrierte die Anwesenheit einer überaus fremdartigen Existenz.
Dann ließ die blendende Lichtfülle nach. Vanne spürte wieder harten Boden unter sich, und ihm war, als blicke er in einen Tunnel, an dessen Ende ein unbegreiflicher Ort war. Er ahnte, dass er um ein Haar in diesem Tunnel verschwunden wäre und dass ihn dann keine Macht des Universums hätte zurückholen können. Aber der Sog war schwächer geworden, um ihn herum gewann die Realität an Substanz.
Vanne lag auf einer Art Plattform. Der Anblick der Wände ringsum ließ ihn verwirrt blinzeln, denn sie bestanden aus scheinbar unendlich vielen Kanten und Ecken, die mit Linien verbunden waren, über deren wirklichen Verlauf Vanne nur Vermutungen anstellen konnte. Einige der Linien schienen frei in den Raum zu ragen, andere verschwanden im Nichts.
Zweifellos sah Vanne nicht die Wirklichkeit. Geduldig wartete er, dass die verwirrenden Linien und Schnittpunkte verschwinden würden – und das geschah tatsächlich. Dahinter schälten sich die Konturen stählerner Wände hervor.
Albun Kmunah übernahm den gemeinsamen Körper, und der besonnene Alpha-Mathematiker stellte die Vermutung an, dass das Spannungsfeld das Tor zu einer anderen Wirklichkeit gewesen war. Am ehesten ließ es sich mit einer Art Transmitter vergleichen, wenngleich der Ort, den man über diese Konstruktion erreichen konnte, nichts mehr mit dem zu tun hatte, was menschlichem Verstand zugänglich gewesen wäre.
Kmunah erschauerte, als er daran dachte, dass die Erbauer dieser Anlage durch das Tor gegangen sein mochten. Doch ihm ging es nicht um die Handlungsweise einer womöglich verschwundenen Zivilisation, er musste an seine eigene Rettung denken. Außerdem wartete ein verletztes Wesen auf Hilfe.
Der Raum wies keine Besonderheiten auf. Das Licht kam aus einer rund unter der Decke verlaufenden Rille. Als Kmunah sich umdrehte, sah er den Eingang. Durch ihn hatte Indira Vecculi den Körper hereingeführt und damit beinahe seine Auflösung heraufbeschworen.
Kmunah richtete sich auf. Seine Bewegungen wirkten behutsam, als fürchte er, neue Reaktionen auszulösen. Langsam zog er sich in Richtung des Eingangs zurück. Als er den Gang erreichte, erlosch das letzte Licht im Innenraum. Kmunah sah jedoch den fahlen Schimmer des Hauptausgangs und bewegte sich darauf zu.
Er atmete auf, als er wieder vor dem Gebäude stand.
Kmunah hatte den Verdacht, dass der Körper mit den sieben Bewusstseinen nicht zufällig auf dieser seltsamen Welt materialisiert war. Entweder wollte ES mit Hilfe der Bewusstseinsgruppe mehr über Nachtfalter herausfinden, oder alles war eine Art Erprobung. Angesichts der Bedrängnis von ES war Kmunah geneigt, an die zweite Möglichkeit zu glauben, zumal ES sicher andere Möglichkeiten hatte, Informationen über diese Welt zu erhalten.
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