Silberband 095 - Mensch aus dem Nichts
er das weiße Gesicht sah, wurde ihm bewusst, worauf er sich eingelassen hatte. Wie sollte er diesem Wesen überhaupt helfen? Was er auch unternahm, er konnte damit sogar den Tod des Verwundeten herbeiführen.
Nowarth riss dennoch die Kleidung seines Schützlings auf, um nachzusehen, ob der Körper offene Wunden hatte. Das war nicht der Fall, und für den Wächter wurde damit alles noch problematischer. Er fragte sich, wie er nun feststellen sollte, was getan werden musste. Unter anderen Umständen hätte er den Unbekannten an einen warmen und sicheren Platz gebracht …
Seine Überlegungen stockten, als der Verwundete die Augen aufschlug. Poog dez Nowarth hob die Krallen, um seine Friedfertigkeit zu demonstrieren. Der Fremde bewegte den Mund, brachte unverständliche Laute hervor.
»Ich wünschte, ich könnte dich verstehen«, sagte der Wächter bedauernd. »Vielleicht kannst du mir mit Zeichen erklären, was ich tun soll.« Er machte selbst einige Gesten, um dem Verletzten zu zeigen, dass er ihn wegschaffen wollte, hatte aber keinen Erfolg damit.
»Offenbar soll es mit unserer Verständigung nicht funktionieren«, sagte er resignierend. »Trotzdem werde ich dich nicht verlassen. Ich bleibe, bis du mir begreiflich machen kannst, was zu tun ist.«
Der Fremde richtete den Oberkörper auf. Dabei gab er einen Schmerzenslaut von sich.
Nowarth streckte die Arme aus und registrierte erleichtert, dass der andere sich bereitwillig helfen ließ, auf die Beine zu kommen. Schließlich stand er schwankend da und stützte sich mit einem Arm auf den Wächter. Diese Berührung löste seltsame Gefühle in Nowarth aus. Sie erinnerten ihn an eine lange zurückliegende Zeit, da man ihm auf ähnliche Weise geholfen hatte. Eine vage Erinnerung an seine Eltern stieg in ihm auf. Das alles musste in unvorstellbar ferner Vergangenheit geschehen sein, auf einer anderen Welt. Poog dez Nowarth konnte die Erinnerung nicht festhalten. Zu viel Zeit war seitdem verstrichen.
Er blickte an sich hinab und sah die Instrumente, die an verschiedenen Stellen aus seinem Körper ragten. Zweifellos befähigten sie ihn dazu, in der Festung von Phark zu leben. Doch das war kein Leben, zu dem er von Natur her bestimmt gewesen wäre. Enttäuschung und Trauer übermannten ihn, als er verstand, dass es für ihn kaum ein Zurück geben würde. Er war ein Werkzeug der Gegangenen, daran war nichts zu ändern.
Ein Geräusch erklang in unmittelbarer Nähe. Hastig entriss Poog dez Nowarth dem Verletzten die Graise, die dieser noch umklammert hielt.
»Die Waffe ist neutralisiert«, sagte eine bekannte Stimme.
Zu seinem maßlosen Erstaunen sah der Wächter den totgeglaubten Wastor vor sich. Er erkannte ihn an dem blauen Band um den Kopf. Auch der Glatthäutige schien überrascht zu sein, denn seine Augen weiteten sich.
»Ich werde mich um dich kümmern, Wächter«, versprach Wastor. »Aber zuerst gilt meine Aufmerksamkeit dem Konzept.«
Das war noch weniger als eine Erklärung, dachte Poog dez Nowarth. Trotzdem war er erleichtert, dass ihm die Verantwortung für den Verletzten nun abgenommen wurde.
Wastors unverhofftes Erscheinen veranlasste Kershyll Vanne zu der Überlegung, ob der Androide überhaupt ernsthaft verletzt gewesen war. Vielleicht gehörte das Schauspiel, das Vanne bei den Monumenten erlebt hatte, zu einem von ES geplanten Experiment. War der Tod von Klamous ebenfalls eingeplant gewesen?
»Wie fühlen Sie sich?«, fragte Wastor. »Sind Sie verletzt?«
»Nicht schlimm«, gab Vanne wahrheitsgemäß zurück. »Ich war nur vorübergehend ohnmächtig.« Er deutete auf den Wächter. »Er hat mich gerettet. Vermutlich wäre ich nicht mehr am Leben, wenn er mich nicht vor seinen Artgenossen geschützt hätte.«
Wastor nickte. »Spreche ich mit dem Vanne-Bewusstsein?«, wollte er wissen.
»Ja«, bestätigte der Psychomathelogist.
»Gut. Sie wissen, dass Sie nicht allein in Ihrem Körper sind, sondern mit sechs anderen Bewusstseinen ein Konzept bilden. Dass Sie handlungsfähig sind, haben Sie auf diesem künstlichen Planetoiden bewiesen. Wie schätzen Sie Ihre Fähigkeiten ein?«
Kershyll Vanne lächelte. Er war einen Meter neunundachtzig groß und 38 Jahre alt. Er hatte eine athletische Figur. Sein ebenmäßiges Gesicht mit den hellblauen Augen wurde von schwarzem, lockigem Haar umrahmt.
»Ich würde mich zunächst als ungewöhnlich bezeichnen. Wahrscheinlich muss ich … müssen wir noch viel lernen.« Sein Lächeln gefror. »Werden wir
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