Silberband 101 - Eiswind der Zeit
Besucher durch etliche Hallen und über einen ausgedehnten Innenhof führte, entdeckte Nchr im Schatten einer Palme neben einem Ziehbrunnen eine seltsame Gestalt. Nchr-Margulien drückte sich an eine Säule und ließ seine Begleiter vorausgehen. Aufmerksam musterte er die humanoide, aber ansonsten nicht menschenähnliche Gestalt. Er sah, dass sie smaragdgrüne, von goldfarbenen Mustern durchzogene Haut, ein langes ovales Gesicht, eine schmalrückige leicht gebogene Nase, silbrig schimmernde Brauen, ein wuchtiges Kinn und silberfarbenes Haar hatte. Das Haar wurde von einem grünen Stirnband gehalten.
Dem Gys-Voolbeerah war sofort klar, dass dieses Wesen trotz seiner humanoiden Gestalt einem ganz anderen Zweig der kosmischen Evolution entstammte als die Menschen.
Als der Unbekannte den Kopf wandte und in Nchrs Richtung schaute, hielt der Molekülverformer jäh den Atem an, denn solche Augen hatte er noch nie gesehen. Es waren bernsteingelbe Augen, deren Iris winzige grüne Punkte und haarfeine grüne Streifen aufwies – und sie schienen dem Gys-Voolbeerah bis auf den Grund seiner Seele zu schauen.
Nchr fühlte sich so beklommen wie nie zuvor. Er rührte sich nicht, und erst als der Unbekannte nach einiger Zeit in eine andere Richtung blickte, huschte er eilig weiter.
26.
Melancholie
Tengri Lethos registrierte das Interesse des einen Kommissionsmitglieds an seiner Person, ignorierte dessen Starren aber, bis es ihm zu viel wurde. Er wandte den Kopf und blickte den Akonen prüfend an. Dabei stellte er erstaunt fest, dass der Akone gar kein Akone sein konnte. Er war zweifellos etwas anderes, aber der Hüter des Lichts hätte nicht zu sagen vermocht, was er wirklich war. Er erkannte nur am Ausdruck der Augen, dass das Bewusstsein, das sich darin spiegelte, nicht das Bewusstsein eines humanoiden Lebewesens war.
Als er spürte, dass der vorgebliche Akone seinen Blick als unangenehm empfand, wandte er sich ab. Der Fremde eilte daraufhin davon.
Tengri Lethos dachte nicht weiter darüber nach. Früher wäre so etwas nie vorgekommen; da hätte er nicht eher geruht, als bis er hinter eine Sache blickte. Seit er infolge eines dimensional übergeordneten Effekts mit seinem Ewigkeitsschiff im Innern des Planeten Lavallal materialisiert war und dann auch noch sein Schiff verloren hatte, war er nur noch ein Schatten seines früheren Selbst. Zumal er bislang nicht wusste, wohin sein Ewigkeitsschiff verschwunden war.
Es war nicht nur der Verlust seines Schiffes, der ihn schwermütig stimmte. Es war auch nicht allein die Sorge um Mabel und Guy Nelson, die er in seinem Schiff und in der miniaturisierten Ewigen Stadt zurückgelassen hatte. Es musste vor allem eine Auswirkung des paramental geladenen Staubgürtels gewesen sein, die seinen Geist beeinflusst und blockiert hatte.
Tengri Lethos fragte sich immer wieder, ob das in der Absicht von ES gelegen haben konnte, denn das Kollektivwesen hatte die Fäden gezogen, die ihn und Kershyll Vanne auf Lavallal zusammengeführt hatten. Außerdem wartete der Hüter des Lichts darauf, dass ES sich wieder bei ihm meldete. Immerhin hatte ES ihn gerufen und ihn gebeten, in die Milchstraße zurückzukehren und Kontakt zu den Menschen aufzunehmen.
»So tief in Gedanken versunken, Lethos?«, fragte die Stimme von Anson Argyris hinter dem Hüter des Lichts.
Tengri Lethos drehte sich um. »Ich bin meist in Gedanken, Majestät. Meine Erlebnisse der letzten hundert Erdjahre reichen dafür vollkommen. Ich habe Erkenntnisse gewonnen, die teils wertvoll, teils aber ungeheuer belastend sind. Und natürlich überlege ich, wie ich mein Ewigkeitsschiff wiederfinde. Was treibt eigentlich der Lare?«
Anson Argyris benötigte keine messbare Zeitspanne, um den abrupten Themenwechsel folgerichtig zu verarbeiten – was ein Beweis für seine primär robotische Natur war.
»Er zieht mit dem alten Prospektor von einer Station zur anderen und fragt Hinweise ab, die auf neuartige Energiequellen für SVE-Raumer hindeuten könnten«, antwortete Argyris. »Ich glaube nicht, dass er irgendwann erfolgreich sein wird.«
»Energiequellen für SVE-Raumer«, wiederholte der Hüter des Lichts nachdenklich. Er hatte eine Idee, doch sie versickerte sofort wieder in der Schwermut, die seinen Geist umspülte. »Wie kommt der Lare dazu, solche Informationen ausgerechnet in den hiesigen Stationspositroniken zu suchen?«
»Auf Olymp sind sehr viele Informationen zusammengelaufen. Freihändler arbeiteten im Untergrund und
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