Silberband 101 - Eiswind der Zeit
Erschütterungen im Handumdrehen festgestellt –, schien er Germyr als Produktionsstätte in Betrieb genommen zu haben. Das bedeutete, dass der Sektor bereits ausgebaut und eingerichtet sein musste. Die Aphiliker hatten demnach keineswegs das Interesse an dem Projekt verloren, sondern vielmehr mit höchstem Eifer weitergebaut.
Niemand hatte eine Ahnung, was der sublunare Sektor Germyr jetzt darstellte.
Bedenklich war, dass NATHAN den Aphilikern fast bis zum Ende ihrer Epoche in vollem Umfang zur Verfügung gestanden hatte. Das Licht der Vernunft hatte NATHAN Befehle erteilen, neue Programme eingeben und sogar sein Basisprogramm ändern können.
Vor Hamillers innerem Auge entstand die erschreckende Vision eines aphilischen Langzeitprogramms. Womöglich hatten die Menschen jener Epoche in ihrem Wahn, jeden zur Lehre der Reinen Vernunft zu bekehren, eine Kriegsflotte aufbauen wollen. Falls NATHAN an einem solchen Programm arbeitete, war dies in doppelter Hinsicht gefährlich. Erstens waren die lunaren Energiereserven nicht unbegrenzt, und zumindest ein Teil der Leistung, die NATHAN in Germyr verbrauchte, würde von anderen Projekten abgezogen werden. Zweitens bestand die Gefahr, dass NATHAN etwas produzierte, was die Glaubwürdigkeit der neuen Regierung bis in ihre Grundfesten erschüttern würde.
Julian Tifflor hatte den Vertretern der GAVÖK zu verstehen gegeben, dass die terranische Menschheit kein neues Solares Imperium anstrebe. Was würde geschehen, wenn Luna plötzlich Unmengen neuer Kriegsschiffe ausspie?
Hamiller rief Tifflor an. »Es besteht die Möglichkeit, dass wir ein erstrangiges Problem am Hals haben«, eröffnete er.
Payne Hamiller und Roi Danton hatten sich nach Hamillers Gespräch mit Redfern verabschiedet. Zurückgeblieben waren Julian Tifflor und das Konzept Kershyll Vanne.
»Verstehen Sie meine Frage nicht als Ausdruck der Unhöflichkeit«, sagte der Erste Terraner. »Aber warum sind Sie noch hier? Es ist schon halb drei Uhr morgens.«
»Ich glaube, Sie sind ebenso wenig müde wie ich.« Vannes Blick war durchdringend. »NATHAN beunruhigt Sie?«
»So ist es.«
»Mich beunruhigt ES. Unsere Sorgen beziehen sich also auf zwei Einheiten, die in der Vergangenheit eng zusammengearbeitet haben.«
»Falls Sie von Neuem versuchen wollen, mich für den Vorschlag unseres Freundes ES zu begeistern, vergessen Sie's!« Tifflor winkte ab.
»Sie sollten wenigstens darüber nachdenken«, schlug Vanne vor. »Man kann alles Mögliche sagen – aber nicht, dass ES jemals versucht hätte, der Menschheit zu schaden.«
»Darum geht es nicht«, erklärte Tifflor. »ES fordert uns einfach auf, nach einem geheimnisvollen Ding namens PAN-THAU-RA zu suchen …«
»Es gab noch ein paar Untertöne: Dass PAN-THAU-RA eine große Gefahr für mehrere Galaxien darstelle. Dass die Menschheit es bedauern werde, wenn sie dieser Aufforderung nicht folgt.«
Tifflor schwieg eine Weile.
»Was soll ich mit Untertönen anfangen? Die Milchstraße befindet sich noch in Aufruhr. Terra hat das Gelöbnis abgelegt, niemals mehr nach galaktischer Macht zu streben. Ohne ein Imperium aber ist die Erde schwach. Also muss ein Warn- und Verteidigungssystem geschaffen werden, das uns gegen Übergriffe jeder Art sichert. Außerdem gilt es, die Erde aufzuräumen. Alte Industrieanlagen müssen wieder in Gang gesetzt, neue errichtet werden. Wir haben Aufgaben genug für die nächsten fünfzig Jahre – und da kommt ES und erwartet, dass wir riesige Mittel für eine Expedition ins Ungewisse bereitstellen?«
»Ich verstehe Sie«, sagte Vanne. »Das ist das Schlimme. Offenbar fehlt mir ebenfalls das notwendige Verständnis für ES. Das Geistwesen kennt unsere Situation. Trotzdem glaubt ES, uns mit vagen Andeutungen zu einer abenteuerlichen Expedition animieren zu können. Wenn es wirklich wichtig ist, warum erhalten wir dann nicht eindeutige Hinweise?«
»Meine Rede«, bestätigte Tifflor.
Jedes Mal, wenn Payne Hamiller sich auf eine Reise begab, hatte er das Gefühl, er sei im Begriff, etwas Wichtiges zu vergessen. Der Transmittersprung nach Luna war zwar nur mit Mühe als Reise zu bezeichnen, aber der Reflex war unabhängig von Entfernung oder Aufenthaltsdauer. Hamiller glaubte fest daran, dass seine Mutter dafür verantwortlich war. An Bord der SOL, als Kind, hatte er die Kabine nie verlassen können, ohne dass seine Mutter ihn hartnäckig gefragt hatte: »Hast du nichts vergessen? Bist du sicher, dass du alles bei dir hast?« Das
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