Silberband 103 - Facetten der Ewigkeit
wenigstens jetzt schon um Verzeihung, denn er wird mir sehr abgehen. Lieber Boyt, wenn du das hörst, bin ich schon weg, mit Dun und seinen Freunden, aber ich weiß gar nicht, was ich dann vor Hunger machen werde, und ich schäme mich auch ein bisschen, weil ich von ihm Saft haben wollte, er aber keinen geben konnte. Ich gehe trotzdem hin ... Schnickschnack, die Nurse 'nen dicken Hintern hat ...«
Die Nurse hatte sich gerade gebückt und schnellte in aufrechte Haltung zurück. Mit hochrotem Gesicht kam sie zu ihm und schaltete das Diktiergerät aus. »Wenn das erste Symptome beginnender Pubertät sind, dann kündige ich«, sagte sie.
Niki wusste nicht, was sie damit meinte. Er konnte sie auch nicht mehr danach fragen, denn da kam Boyt herein. Er war gelöster als sonst, er lächelte, und Niki fand, dass sein Gesicht so jung war wie das seines Jugendfreunds, den er auf Saint Pidgin gehabt hatte.
»Wie geht's, Niki?«, fragte Boyt aufgeräumt. »Machst du Fortschritte? Sprachunterricht, oder irre ich?«
»Ich habe Niki gebeten, seinen Lebenslauf zu diktieren, Sir«, sagte die Nurse förmlich. Sie wurde in Boyts Gegenwart immer so unerträglich förmlich. Im gleichen geschraubten Ton fuhr sie fort: »Durch den Vergleich der verschiedenen Lebensläufe miteinander lassen sich Schlüsse auf seine seelischen Veränderungen ziehen. Niki hat gute Fortschritte gemacht, aber der fortschreitende Sprachverfall in den letzten Tagen lässt darauf schließen, dass er einer neuen Krise zusteuert.«
»Mal hören«, sagte Boyt Margor und schaltete das Diktiergerät auf Wiedergabe. Niki sah das mit steigender Nervosität, und dann ertönte seine Stimme.
»Niki ist lyrisch begabt«, meinte Boyt anerkennend, als er den Beginn des Lebenslaufs hörte. Seine Miene verdüsterte sich aber merklich, als Niki seinen neuen Freund ins Spiel brachte.
»Du bist trotzdem mein Freund, Boyt«, sagte Niki in besonders schönem Interkosmo, um ihn mit sich zu versöhnen.
»Aber ja, Niki.« Boyt streichelte seinen Hinterkopf. Er hatte das Gesicht des Jugendfreunds aufgesetzt, aber seine Augen waren zwei Brutusspinnen, die zum Todessprung ansetzten. »Ist schon in Ordnung, Niki. Du wirst zu deiner Verabredung gehen. Glaube mir, ich verstehe dich. Ich will, dass deine Freunde auch die meinen sind.«
Boyt log. Niki erkannte das ganz deutlich, und er durchschaute seinen hinterhältigen Plan. Außerdem wusste er, dass Dun mit Boyt Schwierigkeiten hatte. Niki schwieg Boyt gegenüber jedoch, weil er Dun nicht verraten wollte. Sie waren beide seine Freunde, auch wenn sie Feinde waren.
Dun Vapido erwartete Eawy ter Gedan und Bran Howatzer am Bootssteg unterhalb des Klosters Dionysiou. Er stand außerhalb der Absperrung und sah das Luftkissenboot schon, als es um eine Klippe kam. Man nannte diese Fährschiffe immer noch Kaiki, obwohl sie mit jenen Gefährten aus den Tagen der Mönchsrepublik keinerlei Ähnlichkeit mehr hatten.
Mit Eawy und Bran stiegen sechs weitere Besucher aus. Dun beobachtete, wie sie ihre Passierscheine an der Robotkontrollstelle überprüfen ließen und ungehindert weitergehen durften.
Statt einer Begrüßung sagte Eawy: »Die Halbinsel wimmelt nur so von automatischen Spionen. Margor kann damit nahezu jeden Winkel überblicken. Sobald ich mich auf das Überwachungsnetz konzentriere, summt es in meinem Kopf wie in einem Bienenstock.«
»Dann lass es bleiben«, sagte Vapido lakonisch. »Margor hat andere Sorgen, als sich um die Spione zu kümmern.«
»Du hast etwas herausgefunden?«, fragte Howatzer.
Vapido winkte ab. »Verschwinden wir erst einmal von hier. Eawy soll uns sagen, wo unser Gespräch nicht mitgehört werden kann.«
Sie stiegen den schmalen, jahrtausendealten Pfad hinauf, bis sie die schroffen Felsen hinter sich ließen und in einen dichten Wald kamen. Es roch nach Myrrhe und Lorbeer. Unter Bäumen und im Schatten einer uralten Ruine standen mehrere Steinbänke.
»Hier sind wir unbeobachtet«, sagte Eawy gedankenverloren.
»Bist du deiner Sache nicht sicher?«, fragte Vapido.
»Das ist es nicht ...« Eawy schüttelte den Kopf, als versuche sie, störende Einflüsse zu verscheuchen. »Ich habe nur den Eindruck, als befände ich mich im Bereich einer starken psionischen Quelle. Es könnte sich um Margor handeln, aber . «
»Er ist es«, sagte Vapido bestimmt.
»Was ist nun mit ihm?«, fragte Howatzer ungehalten. »Willst du uns nicht endlich aufklären, was das alles soll?«
»Etwas ist mit Margor nicht in
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