Silberband 104 - Raumschiff des Mächtigen
den er mit Cainstor gekommen war. Er bugsierte die Schüssel durch den Felsenriss. Am jenseitigen Ausgang landete er.
Von hier aus hatte er einen ausgezeichneten Überblick über den See mit seinen bewaldeten Ufern und über den letzten Abschnitt des Tales, aus dem der Fluss kam. Es war hier wesentlich wärmer als auf der anderen Seite des Berges. Tarmair genoss das sanfte Sonnenlicht.
Er sah die Lichtung, auf der er mit Cainstor zusammengetroffen war. Sein Blick wanderte quer über den See, dorthin, wo der Asogene seinen Gleiter gelandet hatte. Auch dort schien es eine kleine Lücke im Wald zu geben. Tarmair nahm sie in Augenschein. Er glaubte, einen Gegenstand auf dem Waldboden zu sehen. Wegen der Entfernung konnte Tarmair nicht erkennen, worum es sich handelte. Er hatte nur das Gefühl, dass der Gegenstand nicht dorthin gehörte und dass er etwas Grässliches darstellte.
Mit einem Satz war er wieder in seinem Fahrzeug. Das Triebwerk summte hell, als er den Gleiter auf Fahrt brachte und ihn aus der Spaltöffnung hinunter in den Talkessel stürzte. Nur wenige Meter über der Oberfläche des Sees fing er die Maschine ab und steuerte auf das Ufer zu.
Was er sah, raubte ihm den Atem. Auf der freien Fläche waren noch die Abdrücke zu erkennen, die Rayltos Gleiter hinterlassen hatte. Neben ihnen lag eine menschliche Gestalt. Das war es, was er aus der Höhe gesehen hatte.
Tarmair sprang über den Bordrand der Schüssel. Neben der reglosen Gestalt kniete er nieder. Behutsam fasste er sie bei den Schultern und drehte sie auf den Rücken. Es war Nabalik. Sie hatte eine Wunde in der Brust. Ihre Augen waren geschlossen. Tarmair beugte sich über das blasse Gesicht und spürte den matten Atem.
Endlich hob Nabalik die Lider. Ein schmerzhaftes Lächeln huschte über ihre Züge, als sie Tarmair erkannte. »Du bist noch hier …?«, hauchte sie.
»Wer hat das getan?«, stammelte der ehemalige Spötter. »Wie …?«
»Raylto. Er wusste alles«, antwortete die junge Frau.
Das Reden strengte sie an. Ihre Worte kamen in langen Abständen, und Tarmair fühlte sich erbärmlich hilflos. »Sprich nicht!«, bat er. »Ich bringe dich in die Siedlung zurück. Du musst dich in einer Medizinstation behandeln lassen!«
»Die Medo-Maschinen … können mir … nicht mehr helfen.«
»Aber warum? Ich meine, welchen Grund hatte Raylto …?«
»Er schoss auf mich mit dem Rohr, mit dem er Prentach getötet hat. Er wusste, dass ich euch begegnet war und versprochen hatte zu schweigen … alles! Er war entweder in der Nähe und hat uns belauscht, oder er verfügt über ein Wahrnehmungsvermögen, das alles übersteigt, was wir Wynger besitzen. Er beschuldigte mich der Untreue gegenüber dem LARD und dass ich ein todeswürdiges Verbrechen begangen hätte. Er sagte, dass er dich und Cainstor fassen und bestrafen werde – nicht sofort, sondern erst nachdem die Palastwächter ihren Spaß mit euch hatten. Dann schoss er …«
Tarmairs Gedanken wirbelten durcheinander. Palastwächter? Spaß? Nabalik schloss wieder die Augen.
»Nicht!«, stieß Tarmair erschrocken hervor.
Nabalik blickte noch einmal zu ihm auf. »Gut … dass du gekommen bist«, hauchte sie. »So konnte ich … dich warnen. Nimm dich in Acht, Tarmair. Die Asogenen sind …« Ihr Kopf sank schlaff zur Seite.
Eine Weile kauerte Tarmair wie erstarrt neben der Toten, unfähig zu begreifen, was sich ereignet hatte. Er fühlte sich leer und empfand dennoch einen unbändigen Drang, etwas zu tun – und gleichzeitig eine in den Wahnsinn treibende Ungewissheit, was er hätte tun sollen.
Schließlich stand er auf und ging zum Seeufer. Ohne sich dessen richtig bewusst zu werden, was er tat, fing er an, Steine zu sammeln, und häufte sie rings um die Tote an. Er hörte nicht eher auf, als bis er ein Grabmal für Nabalik errichtet hatte, einen Steinhügel, den wahrscheinlich außer ihm kein Mensch jemals zu Gesicht bekommen würde. Er wusste nicht, warum er das tat. Auf Quostoht verschwanden die Leichen der Gestorbenen von selbst. Aber Tarmair hatte das Gefühl, dass Nabalik für immer hier liegen bleiben würde, und die Vorstellung, dass ihr lebloser Körper hilflos dem Sonnenlicht und der Witterung ausgesetzt sein solle, war ihm unerträglich.
Als er den letzten Stein auf den Hügel legte, fiel die seelische Starre von ihm ab. Er wusste plötzlich, was er zu tun hatte. Zum ersten Mal in seinem Leben empfand er so viel Hass gegen ein anderes Wesen, dass er bereit war, es zu
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