Silberband 107 - Murcons Vermächtnis
Nistor eingestanden. Bestimmt war das ausschlaggebend, dass er sich ihr anvertraute.
»Warum hast du dich von Boyt so leicht überrumpeln lassen?«, fragte Baya den Helk bei einem ihrer nächsten Besuche. Sie kam immer öfter, konnte aber nie lange bleiben, weil in kurzen Abständen Wachtposten vorbeikamen, um Nistor zu kontrollieren.
Der Helk verstand es ausgezeichnet, ihnen Funktionsunfähigkeit vorzutäuschen, sodass die Wachen glaubten, nichts befürchten zu müssen. In Wirklichkeit war er alles andere als desaktiviert oder gar gestört. Nistor hätte jederzeit die Großklause in seine Gewalt bringen können, doch er harrte geduldig aus. Den Grund für seine Passivität erfuhr Baya aus einer Antwort, die er ihr gab.
»Nicht Boyt Margor hat mich überrumpelt, vielmehr wurde ich von einer Programmierung meines Herrn überrascht. Sie wurde wirksam, als Margor an Bord der GONDERVOLD kam.«
Baya überlegte, was Boyt an sich haben mochte, das sich sogar mit Loowern in Verbindung bringen ließ, die noch keinen Kontakt mit ihm gehabt hatten. Es gab eigentlich nur eine Antwort darauf.
»Das Auge!«, sagte sie. »Du musst auf Boyts Augenobjekt angesprochen haben.«
»Das Auge gehört ihm nicht.«
»Ich weiß, dass die Loower sich als die rechtmäßigen Besitzer sehen«, bestätigte Baya. »Aber noch ist es in Boyts Besitz. Er kann viel damit erreichen.«
»Er setzt es zweckentfremdend ein.«
»Möglich. Aber es verleiht ihm ungeheure Macht.«
»Ich werde es ihm entwenden.«
»Warum wollen die Loower das Auge eigentlich?« Baya ging forschend um den Helk herum. »Ich habe darauf nie eine klare Antwort erhalten, obwohl ich entelechisch den Wert des Auges erfasse. Aber was würden die Loower damit tun, wenn sie es bekämen?«
Sie rechnete nicht mit einer Antwort. Weil dies mehr war, als sie erwarten konnte, selbst wenn Nistor ihr vertraute. Umso erstaunlicher erschien ihr seine Antwort, dass das Auge der Schlüssel für eine existenzbestimmende Materiequelle sei. Nistor erklärte sogar, wie das Auge eingesetzt werden konnte.
»Ich liebe die Loower wie mein eigenes Volk, Nistor«, sagte Baya leicht ergriffen. »Ich bin deine Verbündete.«
»Fürchtest du nicht, dass Margors Zorn sich gegen dich wenden könnte, wenn du mir hilfst?«
»Boyt fürchtet mich mehr als ich ihn.« Baya lachte in dem Moment herzerfrischend. »Ich habe von Anfang an nach einem Weg gesucht, um von hier fortzukommen. Du bietest mir diese Möglichkeit. Gar so selbstlos ist meine Handlungsweise also nicht.«
»Deine Handlungsweise ist keinesfalls reiner Selbstzweck«, erwiderte Nistor. »Du bist eine sehr reife Person, Baya. Das erkenne ich erst richtig, wenn ich meinen Logik-Restriktor ausschalte. Lank-Grohan war dir ein guter Lehrer. Ich werde alles tun, um dich wohlbehalten zurückzubringen. Aber erwarte nicht zu viel von mir. Meine Programmierung verlangt in erster Linie die Beschaffung des Auges.«
»Deine Ehrlichkeit erschreckt mich nicht«, sagte das Mädchen. »Das ist ein typisch entelechischer Zug an dir. Aber deine Logik muss dir auch verraten, dass deine Chancen, das Auge unbeschadet zu bekommen, ohne meine Hilfe sehr gering sind. Boyt wird seinen Besitz verteidigen. Er wird das Auge lieber vernichten, als es einem anderen zu überlassen. Du stellst für ihn eine leicht einzuschätzende Gefahr dar. Ich dagegen bin für Boyt immer noch eine unbekannte Größe. Und er unterschätzt mich nach wie vor.«
»Wofür baut man aufwendige Denkmaschinen, wenn es Geschöpfe wie dich gibt, Baya?«
Sie wollte wieder lachen, aber die Annäherung mehrerer Personen ließ sie verstummen. Zumal ihr der Fluchtweg abgeschnitten war.
Nistor erkannte das ebenfalls. Er löste zwei Segmente von seinem Hauptkörper.
»Komm schnell, Baya. Ich schaffe einen Hohlraum, in dem du dich verbergen kannst, bis die Gefahr vorbei ist.«
Sie kam der Aufforderung nach. Nistor koppelte beide Segmente in einer Weise an die anderen, dass zwischen ihnen ein Hohlraum entstand, der Baya ausreichend Platz ließ. Nistor aktivierte sogar eine Bildübertragung von außen.
Baya Gheröl sah, dass der Hyperphysiker Santix mit drei Gehilfen das Abteil betreten hatte. Sie nahmen Messungen vor.
»Am Zustand des Roboters hat sich nichts geändert«, stellte Santix fest. »Von ihm droht keine Gefahr.«
Nach einigen Minuten gingen die vier Paratender wieder. Nistor teilte sich und entließ Baya.
»Das ist eine feine Sache«, sagte Baya lobend. »Kannst du mich da drin für
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