Silberband 107 - Murcons Vermächtnis
Der Humpelnde Tantha hatte diese Frau vor nicht allzu langer Zeit in der Schleierkuhle gesehen.
»Hajlik, dich hätte ich hier nicht erwartet«, sagte er.
Pankha-Skrin war auf der Hut, als drei Früchtesammler in der Pflanzung erschienen. Sie kamen geräuschlos und gehörten, nach ihrer Kleidung zu urteilen, zu den Kukelstuuhr-Priestern.
Wie es die Art der Götzendiener war, sprachen sie während der Arbeit nicht miteinander. Es dauerte etwa eine halbe Stunde, dann hatten sie ihre Körbe gefüllt, wandten sich wie auf ein geheimes Kommando hin ab und gingen.
Der Quellmeister verharrte noch eine Weile in seinem Versteck. Drei kleine Körbe voller Früchte schienen ihm ein geringes Quantum, um alle Kukelstuuhr-Priester zu verköstigen. Er kam zu dem Schluss, dass die Früchte eine Kostbarkeit darstellten und nur Auserwählten unter den Priestern serviert wurden. Umso mehr war die Disziplin der Früchtesammler zu bewundern; denn keiner hatte während der Arbeit selbst gegessen.
Inzwischen fing Pankha-Skrin an, sich Sorgen um den Humpelnden Tantha zu machen. Der Gefährte konnte nur den Götzendienern in die Hände gefallen sein. Eine unglückliche Entwicklung, falls sie wirklich so war. Denn mittlerweile hatte sich Pankha-Skrins eine ganz und gar unentelechische Ungeduld bemächtigt. Er wollte durch nichts mehr von seiner Suche abgelenkt werden.
Der Loower kehrte in sein Versteck zurück. Dabei bemerkte er, dass sein Weg durch das Gestrüpp schon deutlich ausgetreten war. Er versuchte, etliche Zweige wieder in ihre ursprüngliche Lage zu bringen und seine Spur so zu verwischen. Dabei näherte er sich rückwärts gehend seinem Versteck.
Unerwartet hörte er hinter sich eine Stimme.
»Das ist er! Der Fremde, der Awustor entkommen ist!«
Pankha-Skrin fuhr herum. In seinem Versteck lauerten vier vermummte Gestalten. Sie waren mit jener Art von Knütteln bewaffnet, die jeder Kukelstuuhr-Priester zu tragen schien. Der Quellmeister erkannte sofort, dass es sinnlos gewesen wäre, sich zur Wehr zu setzen. Auch eine Flucht kam nicht infrage.
»Es scheint mein Schicksal zu sein, euch von Neuem in die Hände zu fallen«, sagte er ergeben.
»Ein gutes Schicksal ist das! Wir haben zu wenig Opfer für die nächste Feier. Vielleicht ist die Gottheit uns gnädig, wenn wir ihr ein Geschöpf darbieten, wie es in dieser Welt noch nie gesehen wurde.«
Die junge Frau regte sich nicht.
»Hajlik, erkennst du mich nicht?«, fragte Tantha. »Ich bin der Humpelnde!«
»Es ist dunkel«, antwortete sie dumpf. »Ich kann dich nicht sehen.«
Der Humpelnde Tantha kannte Hajlik nicht besser als Tausende andere Frauen, denen er auf seinen Wanderungen begegnet war. Aber er entsann sich, dass sie ein lebensfrohes Geschöpf gewesen war. Die Teilnahmslosigkeit in ihrer Stimme passte nicht zu ihr.
»Hajlik, was ist geschehen? Was hast du in der Schleierkuhle verloren? Und warum gibst du vor, mich nicht zu erkennen?«
»Der Geist …«, stieß die junge Frau hervor.
»Ich weiß, du bist dem Geist der Vergangenheit begegnet.« Tantha redete beruhigend auf sie ein. »Aber er konnte dir nichts anhaben, weil mein Freund, der Fremde, ihn verjagt hat. Was ist aus dem Tollen Vollei geworden?«
Hajlik wollte keine Auskunft geben. Der Humpelnde Tantha erkannte, dass sie unter der Nachwirkung eines heftigen Schocks litt. Er redete weiter auf sie ein. Er versicherte ihr, dass kein Geist ihr jemals etwas anhaben könne. Die Frau wachte allmählich auf.
Stockend erst, dann immer flüssiger berichtete sie, was mit ihr und dem Tollen Vollei nach der Begegnung mit dem Geist geschehen war. An manches erinnerte sie sich nicht mehr. Aber für Tantha wurde das Bild dennoch klar. Hajlik und der Tolle Vollei hatten sich aufgemacht, um den vermeintlichen Gastwirt wieder einzufangen – ganz wie er befürchtet hatte. Den Tollen Vollei hatte die Begegnung mit dem Geist offenbar nur vorübergehend beeindruckt. Er war geflohen, bald darauf jedoch umgekehrt, um die Verfolgung wieder aufzunehmen. Hajlik war von den Kukelstuuhr-Priestern gefangen genommen worden, während Vollei sich nicht in ihrer Nähe befand. Zweifellos sollte sie dem Götzen bei der nächsten Feier als Opfer vorgeworfen werden.
Die Dinge wurden allmählich kompliziert, nahm der Humpelnde resignierend zur Kenntnis. Von jetzt an hatte er sich nicht nur um Pankha-Skrin, sondern auch um Hajlik zu kümmern. Und wie lange würde es dauern, bis die Götzendiener auch den Tollen Vollei einfingen? Zwar
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