Silberband 107 - Murcons Vermächtnis
Zelle.«
Der junge Priesteranwärter wollte davon nichts wissen, doch Tantha beharrte auf seinem Entschluss. Er merkte wohl, dass ihn der Jüngere bei sich haben wollte, weil er die Einsamkeit verfluchte. Aber für den Humpelnden gab es wichtige Dinge zu tun. Im Lauf der Unterhaltung hatte er erfahren, dass in der Schleierkuhle bald die Pause der Ruhe anbrach, während der jeder schlief. Diese Pause wollte er nutzen, um mehr über den Götzen Kukelstuuhr in Erfahrung zu bringen. Er verabschiedete sich – jedoch nicht ohne dem jungen Zaphooren zu versprechen, dass er ihn am kommenden Tag zur Mahlzeit wieder besuchen werde.
»Ich wäre dir dankbar«, sagte der Jüngere begeistert. »Bist du schon lange hier unten?«
»Nicht lange.«
»Das dachte ich mir. Ich habe dich nie zuvor gesehen. Du bist wahrscheinlich bei der letzten Opferfeier übrig geblieben.«
Der Humpelnde Tantha spähte den Korridor entlang. Es war still. Die Beleuchtung war auf einen Bruchteil ihrer vorherigen Intensität abgefallen. Die Pause der Ruhe hatte begonnen. Der Humpelnde Tantha fühlte sich sicher. Er würde niemandem begegnen. Und falls das Unwahrscheinliche doch eintrat, dann verstand er es, mit den Felsen zu verschmelzen, als wäre er ein Teil von ihnen.
Er lief in Richtung der Halle, in der das Feuer gebrannt hatte. Für einen Moment spürte er die Versuchung, die Zelle zu öffnen, in der Pankha-Skrin untergebracht war. Allerdings hätte er nicht gewusst, was er dem Gefährten berichten sollte. Es war besser, wenn er sich erst noch umsah.
In der Halle wandte er sich nach rechts und erreichte den mittleren der drei Felsgänge. Auch hier war die Beleuchtung fahl geworden. Tantha drang in den Stollen ein. Er sah die Türen zu beiden Seiten und vermutete, dass in den Räumen dahinter die Priester untergebracht waren. An jeder Tür lauschte er, vernahm aber nirgendwo Geräusche.
Schließlich weitete sich der Stollen trichterförmig. Er wuchs in die Höhe ebenso wie in die Breite und endete vor einem riesigen Portal, das aus reinem Gold zu bestehen schien.
Wie wünschte er sich, jetzt den Loower an seiner Seite zu haben, dem anscheinend kein Tor und kein Portal auf Dauer Widerstand leisten konnte. Aber umzukehren und Pankha-Skrin aus seiner Zelle zu holen wäre Zeitverschwendung gewesen. Tantha blieb keine andere Wahl, als seine eigene Findigkeit zu erproben. Er tastete das Portal ab und stemmte sich hier und da auch mit der Schulter dagegen, um zu sehen, ob sich irgendwo eine Öffnung erzwingen ließ.
Mit einem Erfolg hatte er kaum gerechnet. Deshalb war er überaus erstaunt, als etwas unter seinem Druck nachgab. Eine kaum mannshohe Tür öffnete sich. Sie war ihrerseits Bestandteil des großen Portals. Tantha schob sie so weit auf, bis er ohne Mühe durch die Öffnung blicken konnte.
Er sah nicht viel. In dem riesig anmutenden Raum war die Beleuchtung ebenfalls gedrosselt worden. Aber er nahm einen unangenehm durchdringenden Geruch wahr, für den er keine Erklärung hatte.
Zu den wenigen Dingen, die Tantha leidlich erkennen konnte, gehörte ein steinernes Piedestal etwa hundert Meter vor ihm. Es ragte gut zwanzig Meter hoch auf. In die Seiten waren Stufen gehauen. Oben auf dem Piedestal erhob sich ein pyramidenförmiges Gebilde. Es war von beachtlicher Größe, wirkte jedoch unbedeutend im Vergleich mit den Ausmaßen des Piedestals.
Das, schloss der Humpelnde, musste die Wohnung des Oberpriesters sein. Er fragte sich, ob der Oberpriester ein ebenso regelmäßiges Leben führte wie der Rest der Priesterschar und ebenfalls der Pause der Ruhe huldigte. Da er keine Antwort auf diese Frage finden konnte, nahm er einfach an, dass es so sei.
Tantha drang ohne Zwischenfälle bis zum rückwärtigen Teil der Halle vor. Der Geruch, der ihm seit dem Öffnen des goldenen Tores in die Nase stach, wurde mit jedem Schritt intensiver.
Da der Humpelnde inzwischen sicher war, dass er von dem pyramidenförmigen Gebilde oben auf dem Piedestal nicht beobachtet wurde, schritt er kräftiger aus. Am anderen Ende der Halle befand sich, wie er von dem der Einsamkeit überdrüssigen Priesteranwärter erfahren hatte, ein weiterer Stollen. Er bildete die Fortsetzung des Ganges, durch den Tantha gekommen war.
Aus dem Stollen strich ein feuchtwarmer Luftzug heran. Der Gestank wurde intensiver. Angesichts der Finsternis, die vor ihm lag, und gepeinigt von dem Gestank, der ihm Übelkeit verursachte, fragte sich der Humpelnde Tantha, ob es überhaupt
Weitere Kostenlose Bücher