Silberband 107 - Murcons Vermächtnis
bitte!«
Der Quellmeister richtete beide Augen auf ihn. »Du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen, mein Freund. Was uns widerfährt, geschieht aufgrund einer Entscheidung, die das Schicksal getroffen hat. Ich bin zuversichtlich. Ich glaube nicht, dass es der Wille des Schicksals sein kann, den Quellmeister, der nach Hunderttausenden Jahren unaufhörlicher Suche endlich eine Spur der Materiequelle gefunden hat, zuschanden werden zu lassen.«
»Ich verstehe nicht, was du sagst«, meinte der Humpelnde Tantha traurig. »Ich höre aber, dass du noch Hoffnung hast. Ich wollte, ich könnte dasselbe von mir behaupten. Doch etwas sagt mir, dass ich den heutigen Tag nicht überleben werde.«
»Lass diese Stimmung deine Handlungen nicht beeinflussen!«, warnte der Loower. »Es geschieht oft, dass eine Todesahnung zum Vollstrecker ihrer selbst wird. Berichte mir lieber, wie es dir in der Zwischenzeit ergangen ist!«
Die Aufforderung, erkannte Tantha, entsprang zur Hälfte dem Interesse des Quellmeisters, zur anderen dessen Hoffnung, das Reden würde den Humpelnden von seinen trüben Gedanken ablenken.
Er berichtete knapp und präzise. Der Loower hörte ihm aufmerksam zu. Währenddessen bewegte sich der Zug der Gefangenen und Priester in Richtung der Halle des Oberpriesters.
»Murcons Roboter!«, rief Pankha-Skrin erstaunt, als Tantha schilderte, wie er auf eines der uralten Maschinenwesen gestoßen war. »Du hältst den Roboter für tot?«
»Der, den ich sah, war gewiss tot«, antwortete Tantha. »Nichts an ihm hat eine Reaktion erkennen lassen.«
»Vielleicht ist er lediglich desaktiviert«, sagte der Quellmeister mehr zu sich selbst. »Aber weiter!«
Der Humpelnde fuhr mit seinem Bericht fort.
»Deiner Schilderung nach zu urteilen, muss der Götze ein wahres Monstrum sein«, erklärte Pankha-Skrin. »Die Lautstärke des Gebrülls lässt darauf schließen, mehr noch die Ausdünstung dieser Kreatur.«
»Wir müssen nicht mehr lange herumrätseln, wie der Götze aussieht.« Der Humpelnde Tantha blickte düster vor sich hin. »In Kürze werden wir ihn sehen.«
An dem goldenen Tor hielten die Priester mit ihren Gefangenen an. Einer der Priester schlug mit der Faust gegen das schimmernde Metall.
»Herr – es nahen die Opfer!«, riefen alle. »Öffne die Pforte, damit die Gottheit sich an ihnen erfreuen kann!«
Dies war eine einstudierte Zeremonie. Die Priester hätten ohne Weiteres den kleinen Einstieg öffnen und ihre Gefangenen in die Halle führen können.
Pankha-Skrin bemerkte die aufkommende Unruhe. Offenbar hatten die Priester erwartet, dass sich das Tor sofort öffnen würde. Mittlerweile war jedoch mehr als eine Minute vergangen, und die goldene Pforte bewegte sich nicht.
Die Priester wiederholten die zeremoniellen Worte. Der Erfolg blieb ihnen dennoch versagt. Einer wandte sich um und wies die Gefangenen an, tiefer in den Stollen zurückzutreten. Die Priester redeten gleich darauf hitzig aufeinander ein.
Dem Quellmeister war klar, dass die Götzendiener die Situation für durchaus ungewöhnlich hielten. Vor allem wussten sie nicht, wie sie weiter vorgehen sollten. Die Zeremonie bestand ohne Zweifel darin, dass die Priester ihre Formel sprachen und daraufhin der Oberpriester in der Halle die Pforte öffnete. Das Öffnen war unterblieben. Kein Wunder, dass die Verlegenheit wuchs.
Das Resultat der Debatte war, dass der zeremonielle Gesang zum dritten Mal angestimmt wurde.
Beide Flügel des goldenen Tors schwangen nun nach innen. Hell erleuchtet erschien die große Halle, wie sie Pankha-Skrin von Tantha geschildert worden war. Der Loower sah das quaderförmige Piedestal in der Mitte und das zeltähnliche Gebäude obenauf.
Der Quellmeister erinnerte sich, was Murcon gesagt hatte. Das Piedestal musste der Sockel sein, auf dem der Götze Kukelstuuhr geruht hatte. Damals, als die Freibeuter eingedrungen waren, um Rache zu nehmen, und bevor Murcon die Bestie auf geheimnisvolle Weise mit Leben erfüllt hatte.
Oben auf dem Sockel, am Ende einer der Treppen, die zu dem Gebäude hinaufführten, standen fünf vermummte Gestalten. Die drei Priester, die die Gefangenen führten, stutzten abermals. Pankha-Skrin erkannte, dass der Anblick der fünf Gestalten sie irritierte. Der Sockel war zu weit entfernt, niemand konnte die fünf erkennen, selbst wenn sie nicht die vermummende Kleidung der Priester getragen hätten. Also musste die Irritation daran liegen, dass sie nach den Regeln der Zeremonie anderswo hätten
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