Silberband 108 - Grenze im Nichts
vorgewölbten Stirn wirr vom Kopf.
Er rührte sich nicht, als Gota sich ihm näherte. Seit Tagen hatte er nicht einmal seine Stellung verändert, als sei sein Körper von einer eigentümlichen Starre befallen. Sein tonnenförmiger Brustkorb hob und senkte sich kaum merklich, er atmete flach, wie im Koma. Die dünnen Gliedmaßen, die er an den Körper angewinkelt hatte, erweckten den Eindruck, als gehörten sie nicht zu ihm.
Gota kniete vor Margor nieder. Sie suchte den Blick seiner starren Augen. »Boyt, ich bin es. Hörst du mich?«
Er bewegte lautlos die Lippen.
»Boyt, du musst aus deinem Dämmerzustand erwachen und handeln. Um dich ist das Chaos. Du musst ordnend eingreifen.«
Keine Antwort.
»Du hast das Amulett, Boyt. Geh hin zu meinen Leuten und lass sie das Totem sehen. Dann wird die Ruhe zurückkehren.«
Ein leichter Schauer durchlief seinen Körper. Wieder bewegten sich die sinnlichen Lippen in dem nach wie vor ausdruckslosen Kindergesicht des bald Hundertjährigen. »Das Auge …«, murmelte er tonlos.
»Nur das Totem ist wichtig. Das Auge zählt nicht«, sagte Gota eindringlich.
»Doch!« Margor zog den Blick langsam aus den unergründlichen Fernen zurück, in die er seit Tagen gestarrt hatte. »Ohne das Auge sind wir verloren. Was spielt es da noch für eine Rolle, auf welche Weise wir umkommen?«
Gota war schon erleichtert, ihn wenigstens zum Sprechen bewegt zu haben. »Du wirst einen Ausweg finden.« Sie strich ihm zärtlich über das wirre Haar. »Aber zuerst schaffe Ordnung. Die Paratender entgleiten deiner Kontrolle, Boyt.«
»Das Auge«, sagte Margor wieder. »Die Erinnerung daran schmerzt, trotzdem möchte ich sie nicht missen.« Es schien, dass er loswerden wollte, was sich in den letzten Tagen in ihm aufgestaut hatte. Gota schwieg, um seinen Redefluss nicht ins Stocken zu bringen. »Ich hatte die Macht«, fuhr er kaum hörbar fort. »Mir lag die Galaxis zu Füßen. Ich hätte jedes beliebige Sonnensystem erobern können. Aber dann nahm das Mädchen mir das Auge weg. Nun bin ich gefangen in dem Versteck im Hyperraum, das die Basis meiner Eroberungen sein sollte.«
»Wach auf, Boyt!«
»Ich bin wach – alles vorher war nur ein Traum. Das Mädchen Baya hat mich aus diesem Traum der Macht gerissen …«
»Boyt!« Gota ergriff ihn an den schmalen Schultern und schüttelte ihn. Sie spürte maßlose Wut. Mitgefühl und Anteilnahme waren jäh in Hass umgeschlagen. Hatte sie Margor erst nur aufrütteln wollen, so wollte sie diesen Schwächling nun zerbrechen.
Ihre Hände verkrampften sich um seine dünnen Oberarme. Gota riss den Mann hoch, um ihn in ihrer Verachtung von sich zu schleudern.
Da rutschte etwas aus Margors Halsausschnitt. Es war ein unbehauener, grober Stein, den Margor an einem Halsreif trug. Bei seinem Anblick versteifte sich Gota. Sie ließ den Mutanten vorsichtig wieder auf die Liege sinken. Unentwegt starrte sie auf den scheinbar unbehandelten Erzklumpen. Dabei war ihr, als winke ihr aus seiner unergründlichen Tiefe ein lächelnder Gnom zu.
»Entschuldige, Boyt.« Die Tempesterin sank neben ihm nieder. »Ich habe mich gehen lassen. Aber das Totem wird alle in deinem Sinn beeinflussen.«
»Paratender wollen mit dir reden«, hörte Margor die Frau sagen, die immer noch an seiner Seite kauerte. »Es scheint wichtig zu sein. Vielleicht haben sie eine Lösung für deine Probleme gefunden.«
»Sie sollen wieder gehen.«
Ein Krachen ertönte. Die Tür sprang auf, und zwei Männer stolperten herein. Jener, der die Tür aufgebrochen hatte, stürmte mit erhobener Waffe geradewegs auf Margor zu.
Gota sprang auf und stellte sich den Eindringlingen in den Weg. Der auf Margor gezielte Paralysestrahl traf die Frau. Nur für Sekunden konnte sich Gota noch auf den Beinen halten, dann brach sie zusammen.
»Dean Lantrope!«, rief Margor überrascht aus. »Was soll das?«
»Gib dir keine Mühe, Boyt«, sagte Lantrope gepresst. »Mich bekommst du nicht mehr in deine Gewalt. Ich war lange genug dein Sklave, nun bin ich frei.«
»Aber Dean«, murmelte Margor beschwörend.
»Du hast versagt, Boyt. Es gab eine Zeit, da verehrte ich dich – wir alle haben dich vergöttert. Aber als wir dich wirklich brauchten, da hast du gezeigt, dass du ein Schwächling bist. Deine Unfähigkeit ist schuld, dass wir im Hyperraum festsitzen. Du hast den Verstand verloren und bist unnütz geworden. Deshalb musst du sterben …«
»Dean!«, sagte Margor um eine Spur strenger. »Wirf die Waffe
Weitere Kostenlose Bücher