Silberband 111 - Geburt einer Dunkelwolke
Sicherheit.«
»Das Bewusstsein, durch meine Handlung eine tödliche Funktion ausgelöst zu haben, wäre schlimm genug«, widerspreche ich, und damit ist das Thema für mich abgeschlossen.
Gwester schweigt.
Er achtet wieder auf die Instrumente. Eine Phase des Raumflugs ähnelt dem Tunnelgehen. Um die riesigen Abgründe zu überbrücken, tauchen Raumschiffe in ein übergeordnetes Kontinuum ein, in dem andere Gesetze herrschen. Nach der Rückkehr ins eigene Raum-Zeit-Gefüge befindet man sich in der Nähe des Zielortes. Start und Landung sind jedoch etwas umständlich und im Vergleich zum Tunnelgehen zeitraubend. Aber als vergnügliche Alternative ist die Raumfahrt durchaus akzeptabel.
Gwester setzt mich wenig später am Hauptberg von Ailand ab, der praktisch völlig ausgehöhlt ist und die größte Bevölkerungsdichte aller ailändischen Wohngebirge aufweist.
»Es gibt noch einen Punkt, den wir erörtern müssen«, sagt der Ingenieur zu meiner Überraschung. »Wir haben den Plan für eine weitere Schutzmaßnahme ausgearbeitet. Es ist keine Alternative zur bewaffneten Raumfahrt, sondern als Ergänzung gedacht, um den wilden Horden das Eindringen in euer Reich zu erschweren. Bis wir uns über die Aufstellung einer Raumflotte geeinigt haben, könnten wir das Projekt als Sofortmaßnahme einleiten.«
»Um was handelt es sich?«, will ich wissen.
»Wir haben daran gedacht, das Reich der zweiundzwanzig Sonnen in einen Staubmantel aus feinsten kosmischen Partikeln zu hüllen. Arla Mandra wäre durch die Ballung der Mikromaterie geschützt und könnte nicht mehr ohne Weiteres von den Horden überschwemmt werden. Vielleicht lassen sie sich sogar durch die Anmutung einer Dunkelwolke täuschen und ziehen achtlos vorbei. Aber eine Raumflotte wäre trotzdem nötig – für alle Fälle. Ihr müsst gewappnet sein, Tezohr.«
Der Gedanke, uns hinter einem Mantel aus feinster Materie zu verstecken, gefällt mir schon besser. Ich bin sicher, dass diese Idee für jeden Läander die Initiative zu einem mörderischen Überlebenskampf darstellt.
»Welchen Preis müssten wir dafür zahlen, Gwester?«
»Den dritten Planeten der Sonne Thoto«, antwortet er. »Seine Masse wäre zusammen mit der zur Verfügung stehenden kosmischen Materie ausreichend, einen genügend dichten und dicken Staubmantel zu erschaffen.«
»Ich werde dich unsere Entscheidung bald wissen lassen, Gwester«, sage ich zum Abschied.
Ich habe das unbestimmte Gefühl, dass Gwester von Anfang an darauf abzielte, die Zustimmung für die Erschaffung dieses Staubmantels zu erwirken. Den Vorschlag einer Kriegsflotte brachte er vor, um uns die Chance zu geben, das kleinere Übel zu wählen.
Wir Läander haben eine lange Entwicklung hinter uns und sind auf der höchsten für uns erreichbaren Stufe der Evolution angelangt. Wir haben die Phasen der körperlichen und geistigen Entwicklung durchlaufen. Anderen Völkern können wir ehrlich sagen: »So waren wir auch einmal.«
Wir haben den Gipfel des körpergebundenen Lebens erreicht. Nun blicken wir ratlos hinab auf die bunte Palette von Existenzen, die alle noch nach oben streben können und die Hoffnung haben, irgendwann den Sinn ihres Lebens zu erfahren.
Aber wir sind ganz oben, und die Frage nach dem Sinn unseres Gipfelsturms ist unbeantwortet geblieben. Wir haben alles erreicht, nun sind wir zur Untätigkeit verdammt.
Die wilden Horden sind keine echte Prüfung für uns. Wir können uns nicht auf ihre Stufe stellen und kämpfen. Das ist undenkbar. Wir können auch nicht die Technik der Petronier als Geschenk annehmen. Das wäre unwürdig.
Nach der körperlichen Existenz kommt das körperlose Dasein. Nur das kann unser nächster Schritt sein. Ich weiß es längst, aber ich zweifelte noch daran.
Nun gibt eine innere Stimme mir recht und bedrängt mich. Lasse den Körper hinter dir und steige hinauf zur Daseinsebene des reinen Geistes! Das ist der einzige gangbare Weg, und wenn du nicht gehen kannst, dann schwebe. Nimm einen Scheinkörper als Krücke. Visiere einen Punkt als imaginäres Ziel an – etwa den Staubmantel, den die Ingenieure um Arla Mandra erschaffen werden. Fixiere den Punkt und strebe ihn an.
Das sind deine Hilfsmittel: der Scheinkörper, den du kraft deines Geistes erschaffen hast, und der Staubmantel, der deinen Lebensbereich begrenzt! Gehe auf im körperlosen Dasein und finde deine Bestimmung.
Erstrebe dieses Ziel mit deinen Artgenossen, dann werdet ihr eine neue Lebensform von schlichter
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