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Silberfischchen

Titel: Silberfischchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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Beige bog
     rasch in eine der Querstraßen ab, das Beige war auch das Falsche, es war zu dunkel.
    Er müsste alles einpacken, Stativ, Kamera, die Objektive, alles einwickeln. Sie würde wiederkommen, sobald er alles in der
     Tasche verstaut hatte, würde sich nicht entschuldigen, ihn verständnislos ansehen, wenn er ihr erklärte, wie viel Zeit er
     ihretwegen verloren hatte. Es hatte aufgehört zu schneien, der Schirm war überflüssig. Der Winkel war perfekt, so hatte er
     es sich vorgestellt: rechts die Bäume, am linken Bildrand die Kirche. Er sah hinab zu den schwarzen Gummikappen an den Enden
     der Stativbeine, die sich in den Schnee gebohrt hatten, vier winzige Löcher, er würde die Stelle nicht wiederfinden, wenn
     er ginge, nach ihr sehen. Der Winkel war perfekt. Er könnte mit den Hacken einen Strich in den Schnee ziehen als Markierung.
     Er wandte sich um, betrachtete den Strom der entgegenkommenden Passanten, sie würden jeden Strich niedertrampeln, einebnen
     mit ihren geriffelten Profilsohlen, er konnte nicht gehen.
    Er beugte sich hinab, presste das Auge an die schwarze Gummifütterung, eine Frau schob langsam ihren Kinderwagen durchs Bild.
     Er blieb gebückt, ein glühendes Band umschlang seinen Steiß, gern hätte er eine Hand daraufgepresst, wie ein Greis in einer
     Karikatur, eine wärmende Hand auf seinen Rücken gepresst, »Ischias«, sagte er leise.
    Langsam bewegten sie sich aus dem Bild, erst der Kinderwagen, dann die Frau, und dann bewegte sich |115| nichts mehr, nicht einmal die Bäume, es war windstill. Er atmete nicht, als seine Finger den Auslöser hinabdrückten, klack,
     automatisch neu spannten, klack, spannen, klack, spannen, er fühlte den Puls in seinen Schläfen, seinen Handgelenken, als
     er sich wieder aufrichtete. Er hatte sein Bild.
    Er goss Tee in den Becher, trank hastig einen Schluck, verbrannte sich die Zunge, sog mit offenem Mund kalte Luft ein, seine
     Zunge schmerzte, als er sie gegen den Gaumen drückte. Er hatte sein Bild, er konnte einpacken. Er nahm die Plastiktüte aus
     der Tasche, wickelte die Kanne wieder ein, es war noch Tee übrig, sie kam ganz nach unten. Die Brote würden sie essen, wenn
     sie wieder zu Hause waren.
    Er schraubte die Kamera vom Stativ, ärgern wollte sie ihn, ließ sich absichtlich Zeit, damit er sich sorgte. Er würde sich
     nicht sorgen, er klappte das Stativ zusammen.
     
    Eine halbe Stunde war sicher vergangen, er hatte nicht auf die Uhr gesehen, vierzig Minuten vielleicht. Er packte die Tasche
     zu Ende, den Saft ließ er stehen, er packte sie sehr sorgfältig, hängte den Riemen über seine Schulter, Viertel nach eins.
     Er stand mitten auf dem Bürgersteig, ohne Kamera, ohne eine Beschäftigung, die Hände in den Manteltaschen. Hätte sie einen
     Unfall gehabt, würde er Sirenen gehört haben, er versuchte sich zu erinnern, nein, keine Sirenen, aber sicher war er nicht.
     Sein Kinn war steif vor Kälte, es schmerzte, wenn er den Mund verzog, er probierte es einige Male, eine Frau drehte sich nach
     ihm um, er |116| wurde wütend. Sie wollte ihn ärgern, ließ sich absichtlich Zeit, trödelte, wie ein bockiges Kind, er hatte gesagt, er wäre
     bald fertig.
    Er drehte sich einmal um die eigene Achse, sah die Parkwege entlang, wäre beinahe auf den Kippenhaufen getreten. Er nahm einen
     Schritt Anlauf, wie ein Fußballspieler beim Elfmeter, holte aus und rammte die Schuhspitze zwischen die Stummel. Das Zigarettenpapier
     riss, Filtermaterial und feuchte Tabakkrümel quollen braun hervor.
     
    Seine Hände schmerzten trotz der Handschuhe, er hätte sie gern in die Manteltaschen gesteckt, in den rauen Schutz des Wollstoffs.
     Aber er brauchte die Arme zum Balancieren, er ging ein Stück den Parkweg entlang, auf dem blanken Eis lag Streusand, knirschte
     unter seinen Sohlen. Fühlte etwas auf seinem Rücken, leichter als eine Berührung, fühlte, wie sich Gänsehaut in seinem Nacken
     ausbreitete, sich die feinen Härchen in seinem Nacken aufstellten. Fühlte, dass seine Muskeln härter, die Schulterblätter
     wie zwei Käferflügel nach hinten gezogen wurden, nach unten, als würden sie Schutz bieten.
    Er blieb stehen, er wurde beobachtet. Vielleicht hatte sie sich versteckt. War in der Nähe, hielt sich nur verborgen, wollte
     sehen, ob er sich sorgte. Verfolgte jede seiner Bewegungen, lächelte bei jeder Drehung seines Kopfes, als er versuchte, sich
     zu recken, auf Zehenspitzen, damit er den Park besser überblicken konnte, lächelte,

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