Silberfischchen
musterte den Streusand, die aufgeweichten Zigarettenreste, trat einen Schritt vor und schob mit der Schuhspitze eine
Kippe an den Kantstein. Sie stellte den Saft auf den Boden, schob eine weitere Kippe zur ersten, ihre Turnschuhe grau durchnässt.
Wo die Zigarettenkippe gelegen hatte, blieb ein schwarzer Aschefleck auf dem Schnee zurück. Er sah zu, wie sie allmählich
einen kleinen Haufen zusammenschob.
»So«, er drehte den Becher um, der restliche Tee tropfte auf den Bürgersteig, war noch warm genug, um kleine Löcher in den
Schnee zu schmelzen. Die bunten Winterjacken waren in der Kirche verschwunden, er schraubte den Becher auf die Kanne, nahm
die Haube von der Kamera, Frau Potulski rührte sich nicht, betrachtete den Kippenhaufen.
»Der Schirm.« Sie schob ungerührt eine weitere Kippe zum Kantstein. Er nahm ihn, hielt ihn vor sie hin, hielt ihn vor ihren
Bauch, »hier.« Sie steckte beide Hände in die Jackentasche. »Hier!« Er brüllte fast, eine Passantin drehte sich um, es scherte
ihn nicht. Schließlich streckte sie die Hand aus, klappte den Schirm auf, hielt ihn seitlich vom Körper weg, drehte ihn wie
ein Kind zwischen den Fingern, drehte ihn immer schneller, er musste den Metallspitzen der Speichen ausweichen. Rasch zog
er die Haube von der Kamera, steckte |109| sie in seine Manteltasche, nahm den Deckel vom Objektiv.
»Ich muss«, sagte sie, den Schirm hielt sie noch immer seitlich vom Körper abgespreizt.
Er wartete.
»Ich muss auf Toilette«, vervollständigte sie ungeduldig.
»Gleich«, sagte er, »gleich sind sie drin«, er deutete auf die Kirche, sie sah in dieselbe Richtung.
»Nein.«
»Wenn sie drin sind, geht es schnell«, er beugte sich wieder zum Sucher hinab.
»Ich muss jetzt«, sie klappte den Schirm zusammen, »hier.«
Als er den Schirm nicht nahm, legte sie ihn zwischen die Stativfüße in den Schnee.
»Frau Potulski«, er richtete sich auf, doch sie hatte sich abgewandt.
»Bis gleich«, sagte sie über die Schulter, stand am Bordstein und wartete ruhig, bis der Verkehr kurz nachließ.
Die Winterjacken waren nicht mehr zu sehen, die Kirchentür war geschlossen, der Vorplatz leer, nur Schnee, zerwühlter, dreckiger,
festgetretener und aufgeworfener Schnee. Nichts rührte sich, er beugte sich hinab, fühlte den Auslöser unter seinem Zeigefinger,
berührte ihn nur, drückte ihn nicht hinab, fühlte, wie er leicht nachgab, nein. Er richtete sich auf, er würde warten. Ihren
Ungehorsam nicht belohnen, indem er das Bild machte, so dass sie schneller gehen konnten. So einfach |110| würde er sie nicht davonkommen lassen, er zog die Haube über die Kamera, schob die Hände in die Manteltasche, er würde warten.
Sie kam zurück, schneller als gedacht, er erkannte sie von Weitem, beige, schwarz, klein, wie sie sich zwischen Touristen
durchzwängte, eilig.
»Es kostet Geld«, sagte sie atemlos, als sie vor ihm stand, ihr Körper blieb in Bewegung, wippte auf und ab. Unwillkürlich
hob er die Hand, tastete die linke Brust ab, es war da, fest und quadratisch unter dem weichen Wollstoff des Mantels.
Er ließ sich Zeit, zog das Portemonnaie bedächtig hervor, knöpfte sorgsam den Mantel wieder zu, bevor er das Münzfach öffnete.
Er hielt es ein wenig schräg, so dass alle Münzen auf eine Seite rutschten, schob sie mit dem Zeigefinger auseinander, als
würde er suchen. Ließ die Münzen zur anderen Seite rutschen.
Sie konnte nicht mehr stillstehen, die Lippen zusammengepresst, die Stirn in Falten.
»Beeilung«, sagte sie.
Er fühlte ein Lächeln in seinen Mundwinkeln, als er die Münzen mit kurzen, ruckartigen Bewegungen zurück in die Mitte beförderte,
ehe er sich für eine entschied.
Sie sah hinab auf die Messingmünze, die in den Lederfalten der Handschuhe fast verschwand.
»Das ist zu wenig«, sagte sie, »50 Cent stand auf dem Schild.«
»50 Cent? Das ist eine Mark. Ich bezahle doch nicht eine Mark, damit Sie …«, er brach ab.
|111| »Gut, dann nicht«, sie drehte ihm den Rücken zu, sah den Gehweg entlang, verlagerte ihr Gewicht vom linken auf den rechten
auf den linken Turnschuh. Ein Pärchen kam ihnen entgegen, Frau Potulskis Lippen, ihre breiten Lippen lächelten. Lächelten
warm. Ein Pärchen in roten Winterjacken, mit Mützen und Schals und Handschuhen, mit Kamera und mit Straßenkarte und leichtem
Rucksack und Plänen, wo sie essen und wie sie den Nachmittag verbringen würden.
Unvermittelt stieß Frau Potulski
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