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Silberfischchen

Titel: Silberfischchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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wieder nach ihrem Ohrläppchen.
     »Die Tasche wollten sie nicht, nachdem sie gesehen hatten, was drin war. Haben die Sachen auf dem Boden verteilt, ich habe
     sie eingesammelt, als sie weg waren.«
    Sie nahm ihren Löffel, begann wieder zu essen. Er musste sich konzentrieren.
    »Was haben Sie mit dem Kind gemacht?«
    Sie sah in erstaunt an.
    »Woran ist es gestorben?«
    »Es ist krank geworden«, sagte sie, als wäre es selbstverständlich, »hören Sie jemals zu?«
    |157| »Haben Sie es in der Badewanne unter Wasser gedrückt?«
    Er betrachtete ihre kräftigen Unterarme, die stämmigen Handgelenke, er hatte zum Glück keine Badewanne. Betrachtete die vier
     Hämatome, sie sahen aus wie die Abdrücke von Fingern, ihren Unterarm hatte er nicht angerührt. »War es zu viel, und da haben
     Sie das Kind unter Wasser gedrückt, bis es tot war?«
    »Es ist krank geworden«, wiederholte sie, sah hinab, presste ihre Hände so fest zusammen, dass ihre Knöchel hell hervortraten.
    »Warum haben Sie gelogen?« Es gab keinen Grund zu lügen, wenn das Kind krank geworden war.
    »Ich wollte nicht«, sie betrachtete die hellgepressten Knöchel, »es ist«, sie hielt inne, »es ist privat«, sagte sie schließlich.
    »Wo haben Sie Deutsch gelernt, wenn Sie nicht hier arbeiten?«
    »Von meinem Mann.«
    »Ihrem Mann?«
    »Er war Volksdeutscher. Seine Tochter sollte Deutsch sprechen, abends, am Küchentisch hat er es mir beigebracht. Wir sind
     geschieden. Er wollte ausreisen, ich nicht.«
    »Auf einmal haben Sie einen Mann.«
    »Geschiedenen Mann. Ich esse im Bett auf«, sie nahm ihr Schälchen, klemmte den Löffel mit dem Daumen ein, »gute Nacht«, sagte
     sie.
    Im Bett wird nicht gegessen, wollte er sagen, doch sie hatte sich schon umgedreht, ihre Teetasse in der anderen Hand, auf
     der Türschwelle hielt sie inne.
    |158| »Heute kein Bad«, sagte sie über die Schulter.
    Einen Moment überlegte er, ob er sie wieder am Arm nehmen, ins Schlafzimmer schieben,
Sie schlafen hier
sagen und auf das Bett zeigen sollte. Er könnte das zweite Kopfkissen im Schrank einschließen und den Schrankschlüssel so
     verstecken, dass er es hörte, wenn sie ihn nachts holen würde. Im Besteckkasten unter den Messern, er schlief nicht fest.
     Er ließ es bleiben, sie konnte auch die Bettdecke nehmen oder sein Kopfkissen.
     
    Sie lag schon auf dem Sofa unter der Decke.
    »Fertig mit Beten«, fragte er.
    »Klopfen«, entgegnete sie.
    Sie hatte den Grießbrei nicht ganz aufgegessen, er nahm das Schälchen vom Couchtisch, sie hatte es auf den Bildband gestellt,
     die leere Teetasse hängte er über zwei Finger.
    »Gute Nacht«, sagte er, sie antwortete leise. Der Schlüssel steckte von innen, er zog ihn ab, im Hinausgehen löschte er das
     Deckenlicht.
    Er konnte sie rufen hören, als er die Tür abschloss. Er verstand sie nicht, ging rasch durch den Flur, den Schlüssel ließ
     er stecken. Stellte die Tasse in die Spüle, kratzte den Brei in den Mülleimer. Er würde den Film entwickeln, den er heute
     Morgen gemacht hatte, in Ruhe den Film mit ihren Sachen. Die Kamera fand er in der Fototasche, hatte sie zuerst in der Dunkelkammer
     gesucht, war sich sicher gewesen. Er hörte Frau Potulski an der Klinke rütteln, gedämpfter, nachdem er die Dunkelkammertür
     geschlossen hatte. Sie brüllte seinen Namen, Vor- und Nachnamen, er nahm |159| die Schalen aus dem Regal. Stellte die Entwicklerflüssigkeit daneben, die Wohnzimmertür dröhnte dumpf. Sie schlug gegen das
     Türblatt. »Die Nachbarn«, brüllte er. Der Schall wurde von den Wänden der Dunkelkammer zurückgeworfen. Er hatte den Film noch
     nicht aus der Kamera genommen, öffnete die Kammertür, öffnete sie wütend, so dass sie gegen die Wand schlug, »die Nachbarn«,
     brüllte er erneut. Plötzlich war es still. Er hielt inne, lauschte, kein Laut. Ging durch die dunkle Küche, ein Stück auf
     das Wohnzimmer zu, nichts. Er betrachtete erstaunt die helle Lichtlinie unter der Tür, sie hatte aufgegeben, musste erschöpft
     sein, er lächelte zufrieden. Er meinte ein Schleifen zu hören, ganz leise, als würde sie eine Schublade aufziehen, die Schuber
     vielleicht, aber sicher war er nicht. Reglos stand er in der Küche und wartete. Es klang nach Metall, sie machte etwas an
     der Tür, es gab nur den einen Schlüssel, er konnte ihn stecken sehen. Es hörte sich an, als würde sie an ihr kratzen, als
     würde etwas abrutschen, etwas Metallenes. Er durchschritt den Flur, lehnte sich gegen die Tür,

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